■ Israels Premier Netanjahu versuchte lange den Vorwurf abzuschütteln, er habe der Erpressung eines Koalitionspartners nachgegeben. Es nützte nichts. Am Wochenende wird über eine Anklage wegen Betrugs und Vertrauensbruchs entschieden
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Israels Premier Netanjahu versuchte lange den Vorwurf abzuschütteln, er habe der Erpressung eines Koalitionspartners nachgegeben. Es nützte nichts. Am Wochenende wird über eine Anklage wegen Betrugs und Vertrauensbruchs entschieden

Jetzt wird es ernst

Wenn auch nur zwei Parteichefs in Israel zu ihrem Wort stehen, ist die Regierungskoalition unter Benjamin Netanjahu am Ende. Als die Bar-on-Affäre im Januar publik wurde, legten sich Arbeitsminister Nathan Scharansky und Polizeiminister Avigdor Kahalani fest: Schon wenn bloß zehn Prozent der Vorwürfe stimmten, so erklärten sie damals, solle die Regierung fallen. Scharanskys Einwanderungspartei verfügt über sieben Sitze und könnte damit Netanjahus Mehrheit von 66 Abgeordneten im 120köpfigen Parlament zu Fall bringen. Kahlanis „Dritter Weg“ hat drei Sitze inne. Auch zwei Minister von Netanjahus Likud-Partei, Dan Meridor und Moshe Katsav, haben angedeutet, daß sie ihren Rücktritt einreichen werden, sollte Netanjahu unter Anklage gestellt werden. Die Schas- Partei ließ überdies erklären, daß sie aus der Regierungskoalition austrete, sollte Parteiführer Arie Deri unter Anklage gestellt werden. Auch in diesem Fall verlöre Netanjahu die Mehrheit.

Netanjahu, der nach wie vor alle Vorwürfe weit von sich weist, setzte eine Medienkampagne zu seiner Verteidigung in Gang. Während bislang alle Beobachter davon ausgingen, daß der Ministerpräsident mit einem blauen Auge davonkommen würde, gilt jetzt nicht mehr als ausgeschlossen, daß ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet werden könnte. Zwar räumte ein Sprecher der Untersuchungsbehörde ein, daß die Beweise gegen Netanjahu sich im wesentlichen auf die Aussagen von Dan Avi-Jitzhak, dem früheren Anwalt von Schas-Chef Arie Deri, stützen. Gleichwohl seien Indizien gefunden worden, die die Aussagen dieses „zentralen Zeugen“ glaubwürdig machten. Und Israels Generalstaatsanwältin Edna Arbel verteidigte die Polizei gegen Vorwürfe aus Regierungskreisen, die Untersuchungen seien „politisch“ motiviert gewesen. „Ich glaube, daß diese Untersuchung der israelischen Polizei zur Ehre gereicht“, erklärte sie. Noch vor dem am Montag beginnenden Pessachfest werden sie und der jetzige Chefankläger Elyakim Rubinstein entscheiden, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird. Netanjahu wäre der erste Ministerpräsident Israels, der sich einer Anklage stellen müßte.

Selbst bei einer Anklageerhebung müßte Netanjahu nicht zwangsläufig zurücktreten. Für eine Abwahl des vom Volk direktgewählten Ministerpräsidenten wäre im Parlament gar eine Zweidrittelmehrheit vonnöten. Die aber gilt als ausgeschlossen. Sollte das Parlament mit einfacher Mehrheit dem Ministerpräsidenten das Mißtrauen aussprechen, müßte es sich selbst auflösen. In diesem Fall wären Neuwahlen erforderlich.

Gegen Neuwahlen und den Rücktritt des Ministerpräsidenten spricht freilich das Interesse von Netanjahus Koalitionspartnern. Netanjahu hat sie an die Macht gebracht. Und sie wissen, daß sie ohne Netanjahu diese Macht wieder verlieren werden. Die Forderung von Oppositionsführer Shimon Peres, Netanjahu solle zurücktreten und sofort Neuwahlen ausschreiben, gilt als die unwahrscheinlichste aller politischen Konsequenzen aus dem Skandal.

Zwar hat die Arbeitspartei nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie so schnell wie möglich mit Netanjahu ins Regierungsbett einer Großen Koalition steigen will, doch hatte sie zur Bedingung gemacht, daß Netanjahu mit weißer Weste aus der Bar-on-Affäre hervorgeht.

Danach sieht es nun freilich nicht mehr aus. Zum anderen hat Netanjahu das Drängen der Oppositionspartei auf Regierungsbeteiligung lediglich als taktisches Spiel genutzt, um seine rechten Koalitionspartner in Schach zu halten. Der politische Befreiungsschlag einer großen Koalition steht Netanjahu jedoch dann wieder zur Verfügung, wenn die Generalstaatsanwälte wegen zu dünner Beweislage auf eine Anklageerhebung gegen den Ministerpräsidenten verzichten würden. Der sprichwörtliche Opportunismus der Arbeitspartei dürfte auch einen Netanjahu mit leicht beschmutzter Weste als akzeptabel befinden.

Wahrscheinlicher ist jedoch ein anderes Szenario. Netanjahu wird die politische und persönliche Herausforderung annehmen und um sein politisches Überleben kämpfen. Und das durch alle Instanzen. Und er wird entschieden gegen jene Kräfte antreten, die dem Land eine Regierung zurückgeben wollen, die zu dem seiner Meinung nach politisch falschen Oslo-Abkommen geführt und Israels Sicherheit bedroht hat. Die Folge wird sein, daß sich die Affäre über Monate hinziehen wird und Parlamentsausschüsse, Kontrollkommissionen und das Oberste Gericht beschäftigen wird. Damit aber droht Israels Regierung in politische Agonie zu versinken.

Das hätte direkte Auswirkungen auf den Friedensprozeß. Gefährdet wäre nicht nur die aktuelle Mission des US-Vermittlers Dennis Ross – eine skandalgeschüttelte israelische Regierung dürfte weder Zeit noch Sinn für ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern haben. Eine weitere Verzögerung der Verhandlungen über den endgültigen Status der Palästinensergebiete und die strittigen Fragen wie Jerusalem, das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge oder die Verteilung des Wassers wären unausweichlich. Palästinenserpräsident Jassir Arafat wird in Gaza genüßlich den Sturz der ihm verhaßten Regierung abwarten. Georg Baltissen