: Die Eigenfrequenz leicht blöder Dinge
■ Das Kölner Duo Workshop meditiert elektronisch über den Fluß der Zeit
Was sich zur Zeit zwischen den Polen Rock und elektronische Musik abspielt, ist kein Kampf mehr. Eher eine zwar innige Liaison, der es jedoch an Heißblütigkeit mangelt, an Mut und Wut, vielleicht überhaupt an Gefühl. An Charakteristik, ja Persönlichkeit – falls es erlaubt ist, dies von einer Beziehung einzufordern. Ist es, wie sich jetzt am neuen Album der Kölner Kai Althoff und Stephan Abry und ihrer Band Workshop zeigt.
„Meiguiweisheng Xiang“, der Titel des vierten Workshop-Albums, mutet esoterisch an – und hat doch eine recht profane Bedeutung. Das Cover zeigt diverse Gegenstände auf Waldboden, zu einem so bizarren wie unspektakulären Stilleben angeordnet. Bücher, Bierglas, eine Schachtel, eine Glocke. Nach der Herkunft der Teile gefragt, erklärt Stephan Abry: „Das sind im Prinzip alles Reliquien aus dem Hause meiner Eltern, so leicht blöde Dinge, wie zum Beispiel auch das in Holz eingefaßte Barometer.“
„Meiguiweisheng Xiang“ ist als Titel für das Ganze zugleich Teil dieses Ensembles. Es ist der Name eines Räucherstäbchenfabrikats, das von den beiden jungen Männern präferiert wurde, als sie noch so richtig jung waren, Teenager. Wie die übrigen blöden Dinge entstammt es der Urzeit einer Freundschaft, die irgendwo in den späten siebziger Jahren liegt. Um die Geschichte dieser Freundschaft, die eine Band wurde, dreht und wendet sich das Album von vorne nach hinten (drei reguläre, rockige, elektronische Stücke lang, die bis zu 25 Minuten lang sind) und von hinten nach vorn (in einem als Hidden-Track beigegebenen vierten Stück werden etliche Motive nochmals aufgegriffen).
Dazwischen liegt wildes Dazwischen
Im Detail werden persönliche Geschichten erzählt, etwa die vom Spaziergang „Brück Mauspfad“, der in auf einer Tonspur festgehaltenen Umweltgeräuschen dokumentiert wird, während parallel musikalischere Sounds zu hören sind. Im großen und ganzen erzählt sich hier die Entwicklung der Band: von der Rockband der ersten zwei Alben zum soundtüftelnden Samplingprojekt des dritten Albums „Talent“. Das erste Stück auf „Meiguiweisheng Xiang“ ist sehr rockig, das letzte sehr elektronisch. Dazwischen liegt wildes Dazwischen.
Das Workshopsche Soundcreature erschöpft sich aber nicht in Selbstbezügen. Ganz bewußt, so hat man den Eindruck, formuliert es ein deutliches Ja zur eigenen Künstlichkeit, ohne deshalb jedoch auf Popappeal verzichten zu wollen. Besonders deutlich wird das an Kai Althoffs Gesang. Auf englisch wispert er glamourös, um im nächsten Moment ganz Pathos zu sein, fordernd, konkret, ganz Kunstlied. „Aufschließen“ klingt dann wie „Ausschließen!“ und wie „Schlehe“ – ein Baum, der sich ja auch im Rahmen der Ästhetik des artifiziellen Stadtwaldes behaupten muß. Einer „wunderbaren Ästhetik“, wie Stephan Abry meint und wie sie sich auf dem Cover von „Meiguiweisheng Xiang“ findet. Der Stadtwald als Metapher für die Welt der Städte.
Erstaunlich ist die von Workshop gesuchte Nähe zum Kunstkontext nicht. Kai Althoff präsentierte voriges Jahr das Schallplatten-Buch-Objekt „Ashley's“, die gezeichnete und musikalisch umgesetzte Phantasie einer Künstlerkolonie. Stephan Abry ist freier Fotograf. Erstaunlich ist auch nicht, daß das Hören von „Meiguiweisheng Xiang“ permanent an Can und überhaupt Krautrock erinnert. Erstaunlich ist, daß sich gerade in den künstlichen Freiräumen der Freak-Outs, dem alles durchziehenden Moment der Improvisation, in der Strukturlosigkeit der Stücke das eigentliche Thema von „Meiguiweisheng Xiang“ ausmachen läßt: eine Meditation zum Thema Zeit. Es kristallisiert sich aus den endlosen, organischen und abrupten Abfolgen des Zusammenbringens verschiedenster Klangquellen heraus. Indem auf Einschübe Verzögerungen folgen, auf House-Beats Wasserrauschen folgt. Nach Ausbrüchen kommen Pausen. Gegensätzlichste Stimmungen, Gefühle werden ausführlich entfaltet oder scheinen kurz auf – beinahe schon wie in der Echtzeit des Lebens. Das ganz normale Chaos wird auf CD-Länge verkürzt, zugespitzt und dadurch veranschaulicht. Was aber wäre eine Thematisierung der Macht der Zeit, der Zeit und dieser Zeit, ohne Hinweis auf den kleinen Geheimausgang? Bei Workshop heißt er Groovyness. Früher nannte man das Sophistication. Manchmal hat man sie.
Als Workshop „Meiguiweisheng Xiang“ Ende März in Köln präsentierten, führten sie all das – sich, ihre Kunst, die Zeit, die Sophistication – eindrücklich vor. Als vierköpfige „Band“ an den Instrumenten Plattenspieler, Kassettenrecorder, Röhrenradio, Gitarre, Flügel, Trommeln, Rasseln, Gesangsmikrofon und Megaphon. Sie standen nicht auf der Bühne, sie saßen dort. Nahmen selbstverständlich Klänge von hier und da. Volle sechs Stunden lang. So pusten sie dem Geist der Liaison aus Rock und Elektronika ordentlich Leben rein. Jochen Bonz
Workshop: „Meiguiweisheng Xiang“ (Ladomat/Rough Trade). Kai Althoffs „Ashley's“ ist über die Galerie Daniel Bucholz zu beziehen. Tel.: (0221) 2574946
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