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"Wer viel kauft, redet auch viel"

■ Gesichter der Großstadt: Ahmad Khakbal führt seit zehn Jahren einen Zeitungskiosk in Neukölln. Sein Laden ist die einzige Nachrichtenbörse und Sozialstation für den Kiez

Die Tür zu seinem Zeitungskiosk steht selbst bei kältestem Wetter offen. Zum einen sieht Ahmad Khakbal dann genau, wer auf der Weserstraße vorbeigeht, um jedes bekannte Gesicht freundlich zu grüßen. Zum anderen ist die Luft im Laden so stickig, daß sich die dicken Zigarettenrauchschwaden nicht anders verziehen könnten. Der Nebel entsteht in einer abgetrennten Ecke des Ladens, in der sich die Rentner treffen, um nicht allein zu trinken und über die Schlagzeilen zu reden. Im vorderen Raum sind die Regale vollgestopft mit all den Blättern und Flaschen, die Khakbals Neuköllner Kundschaft so verlangt: Unter den Fernsehzeitschriften stapeln sich Bierdosen, Wodka und Schnaps; neben ausländischen Tageszeitungen liegen Kulturführer und britische Trotzkisten-Hefte.

Der 46jährige weiß genau, wer welche Zeitschriften liest und welche Sorte Tabak raucht: „Was gut für den Kunden ist, ist auch gut für das Geschäft.“ Zeitschriften von vor drei Wochen bestellt er problemlos nach. Auf Wunsch repariert er auch einen Sonnenschirm, wenn eine Rentnerin ihn herbringt. Das Wichtigste für seine Kunden ist allerdings, daß man bei ihm anschreiben lassen kann. So hat er sich in dem Kiez behaupten können: „Wenn jemand jeden Morgen zwei Schachteln Zigaretten und eine B.Z. kauft, aber einmal kein Geld dabei hat, weiß ich doch, daß der das gleiche am nächsten Morgen wieder braucht.“

Ahmad Khakbal ist vor 25 Jahren aus Teheran nach West-Berlin gekommen. Dort hatte er begonnen, Pharmazie zu studieren, doch das Schah-Regime trieb ihn aus dem Land. Erst studierte er in Berlin weiter, doch die Jobs, mit denen er sein Studium finanzieren mußte, waren nicht seine Sache. 1987 machte er deshalb den Zeitungsladen auf, für den er von morgens um halb vier bis abends um elf schuftete. Seine Frau und die beiden Töchter, für die er kaum Zeit hatte, haben ihn mittlerweile endlich dazu gebracht, eine Aushilfe einzustellen.

Khakbal ist kein Sozialarbeiter, er ist Geschäftsmann. Er pflegt seine Kunden, und die gönnen ihm dafür ein gutes Geschäft. Die zumeist aus dem Ausland stammenden Kleinunternehmer wie er sind es, die den Kiez zusammenhalten, in dem nicht nur viele Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose leben, sondern vor allem Alleinstehende: Singles, Rentner, alleinerziehende Mütter. Wer nicht weiß, was er mit seiner vielen Freizeit und seinem wenigen Geld anfangen soll, läßt sich von Khakbal einen Kaffee ausgeben.

„Wer kauft, der redet eben auch“, und deswegen bekommt Khakbal eine ganze Menge mit von den Leuten, die hier leben. Die Frau, die bei ihm Zigaretten anschreiben läßt, beklagt sich bei ihm, daß ihr Mann das Geld versoffen hat (natürlich bei ihm). Die Rentnerin aus dem Haus gegenüber will bei ihm mit einem längst ungültigen alten Geldschein bezahlen, von denen sie noch mehrere hundert in ihrem Kleiderschrank gehortet hat.

Wenn sich jemand von den Alkis, die bei ihm im Laden herumstehen, eine Woche lang nicht blicken läßt, sagt er dem Kob Bescheid. Das gehört zu Khakbals Job: „Ich bin schnell, pünktlich, aufmerksam und freundlich.“ Das erscheint so deutsch, daß ihn sogar die „Republikaner“ zu einer Fraktionssitzung ins Neuköllner Rathaus einluden, um zu beweisen, daß sie gegen solch vorbildlichen Ausländer nichts einzuwenden haben. Daß Khakbal längst einen deutschen Paß hatte, spielte keine Rolle. Die Einladung hat er ebenso höflich wie bestimmt abgelehnt: „Ich habe ihnen erklärt, daß meine Arbeitsmoral nicht deutsch, sondern durch und durch orientalisch ist.“ Thekla Dannenberg

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