piwik no script img

Die Bundesregierung bei der EU verklagen

■ Der Menschenrechtler Abdenur Ali Jahia über Bonns Umgang mit algerischen Flüchtlingen

taz: Die Bundesregierung hat mit Algerien jüngst ein Abkommen unterschrieben, nach dem algerische Polizisten nicht anerkannte Asylbewerber schon am Flughafen Frankfurt abholen.

Abdenur Ali Jahia: Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Menschenrechte und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Wer wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt wird, hat ein Recht auf Asyl und darf auf keinen Fall in sein Heimatland abgeschoben werden, wenn dort gefoltert wird und die Todesstrafe zum Einsatz kommt. Beides ist in Algerien der Fall.

Was erwartet die Abgeschobenen in Algerien?

Ein Scheinverfahren, denn in Algerien werden die Richter direkt von der Militärregierung eingesetzt, ihre Urteile von oben überwacht und vorgegeben. Unter Folter zustande gekommene Aussagen haben volle Gültigkeit.

Sind Ihnen konkrete Fälle von Abschiebehäftlingen bekannt, die zu Hause hingerichtet wurden?

Ich kenne zehn Fälle. Aus Rücksicht auf die betroffenen Familien nenne ich keine Namen. Ich kann aber versichern, daß auch der deutsche Botschafter in Algerien von den Fällen Kenntnis hat.

Was für Haftbedingungen erwarten Abgeschobene in Algerien?

Die Gefängnisse sind restlos überfüllt. In Einzelzellen werden drei, in Zweierzellen sechs und in Dreierzelle bis zu elf Personen eingesperrt. Wegen dieser Zustände kommt es immer wieder zu Häftlingsprotesten. Die werden dann brutal niedergeschlagen.

Wie viele politische Häftlinge gibt es in Algerien?

Das läßt sich nur schwer sagen, weil es von offizieller Seite so gut wie keine Informationen gibt. Menschenrechtsorganisationen haben zu den Haftanstalten keinen Zutritt. Wir gehen allerdings davon aus, daß über die Hälfte der insgesamt 300.000 Häftlinge politische sind. Polizei und Armee unterhalten versteckte Gefängnisse, wo sie ohne richterliche oder öffentliche Kontrolle mutmaßliche Islamisten gefangenhalten und foltern. Viele verschwinden. Wir haben 436 solcher Fälle dokumentiert. Die tatsächliche Zahl dürfte in die Tausende gehen.

Was wollen Sie gegen das deutsch-algerische Abkommen unternehmen?

Ich werde meinen deutschen Gesprächspartnern europaweite Protestaktionen und eine Klage gegen die Bundesregierung bei der Europäischen Menschenrechtskommission vorschlagen. Interview: Reiner Wandler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen