: Mit dem kühlen Sinn eines Fachmanns
■ „Vernichtung als gewaltsamer Sanierungsabbruch“: Neues Buch zum Wiederaufbau der Hansestadt Bremen
Wenn heute in der Hansestadt über Stadtentwicklung diskutiert wird, fallen bestimmte Stichworte schnell. Da sind der überdimensionierte Rembertiring, die durch breite Straßen von angrenzenden Stadtteilen abgeschnittenen Häfen auf dem rechten Weserufer oder die Martinistraße, die sich wie eine zu breit geratene Schneise durch die Bremer City zieht. Diese und andere Streitpunkte sind nicht zufällig entstanden, sondern Ergebnis bewußter Entscheidungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Und in ebendiese Epoche entführt ein Band, der unter dem Titel „Bremen – Der Wiederaufbau 1945-1960“soeben bei der edition temmen erschienen ist.
Ruinen, Trümmer und nur wenige Gerippe von Wohn- und Geschäftshäusern oder Kirchen: So zeigten sich die drei fast völlig zerstörten Stadtteile – der westliche Teil der Altstadt, die Bahnhofsvorstadt und der Bremer Westen – nach dem Krieg. Und genauso zeigt sie das vom Kulturwissenschaftler Nils Aschenbeck herausgegebene und durch zahlreiche, teils eindrucksvolle Fotos von Rosemarie Rospek und Werner Krysl illustrierte Buch. Statt eines Schmutztitels und der üblichen Angaben zur Publikation springt einem beim Blättern eine Ouvertüre des Schreckens ins Auge: Luftaufnahmen der verwüsteten Stadtteile dokumentieren das Ausmaß der Zerstörung. Zugleich liefern diese Bilder eine Ahnung von den Anforderungen an die ArchitektInnen eines Wiederaufbaus.
„Im Frühjahr 1945 standen die Bremer vor den Trümmern und den erhaltenen Resten einer langen, ereignisreichen und nicht selten auch ruhmreichen Geschichte. Wie sollte es weitergehen?“schreibt Aschenbeck in der Einleitung und skizziert die wesentlichen Antworten. So entschied der Senat, die seiner Ansicht nach wichtigsten historischen Gebäude zu erhalten oder wieder aufzubauen – das Rathaus oder die Stadtwaage zählten dazu, das riesige Lloyd-Gebäude oder die Ansgarii-Kirche aber nicht. Diese und viele weitere Gebäude wurden abgerissen. Zu diesem denkmalpflegerischen Aspekt kam die schiere Not: Schon in den ersten Nachkriegsmonaten strömten Zehntausende von KriegsheimkehrerInnen und Flüchtlingen in die Hansestadt. Der Wiederaufbau mußte deshalb darauf zielen, „möglichst schnell möglichst viel Wohnraum“zu schaffen. Und vor allem auf diesem Feld wurden Entscheidungen getroffen, die das Stadtbild bis heute prägen.
Statt auf einen Wiederaufbau im buchstäblichen Sinne setzten die PlanerInnen damals auf einen Neuentwurf. So wurde auf den ersten beiden Großbaustellen, dem Stephaniviertel und in Utbremen, so gut wie keine Rücksicht auf gewachsene Strukturen genommen. Der Gedanke an eine ideale Stadt vom Typus der durchgrünten Gartenstadt herrschte vor und konnte sich in den folgenden Mammutprojekten Vahr und Neue Vahr in einem rekordträchtigen Ausmaß austoben. Die Ähnlichkeiten der Siedlungen Utbremen und Vahr haben Gründe: Für die Bauten hauptverantwortlich waren die zwei Architekten Säume und Hafemann; für die Struktur der Siedlungen die damals übermächtige Gewoba.
Nils Aschenbeck stellt diese Entwicklung in einem Essay dar. Außerdem läßt er zwei Beteiligte in Originaldokumenten zu Wort kommen. Der erste ist Johann Hinrich Prüser, der sich als Sprecher einer „Vereinigung für Stadtbildgestaltung und Baurechtsreform“gegen die Abrißorgien im Stadtzentrum zu wehren versuchte. Als „Gegenspieler“fungiert der Stadtplaner Hans Högg: Aschenbeck zitiert aus einem 1946 gehaltenen Vortrag, der es in sich hat.
In einer kaum verhohlenen Aversion drischt der auf die Jahrhundertwende-Architektur mit ihren „dunklen Hinterhöfen“und „gründerzeitlichen Häusermeeren“ein und kommentiert die Kriegszerstörungen folgerichtig: „Wenn wir mit dem kühlen Sinn des Fachmanns sehen, hat die Vernichtung – wie ein gewaltsamer Sanierungsabbruch gewirkt.“In der Kühnheit des Ideologen erteilt Högg dem organisch-chaotischen Wachstum einer Stadt eine Abfuhr und setzt vollkommen auf Planung: Geradezu naiv werden die Begriffe Stadt und Landschaft kombiniert und die Straßen und Bahnen mit Flüssen gleichgesetzt. Höggs Motiv war der Wunsch nach einer Lösung der sozialen Frage: Der neue Städtetypus sollte „zu einem gedeihlichen Leben in gerechtem sozialen Ausgleich“führen. Ob er dabei allerdings an die später gebauten Großsiedlungen gedacht hat, ist fraglich: „Wir wissen heute, welches Glück ein kleines eigenes Haus und ein kleiner Garten bedeuten“, sagt Hans Högg ein Jahr nach Kriegsende und nimmt prophetisch die Bauwut im sogenannten Speckgürtel vorweg.
Es ist Nils Aschenbecks Verdienst, diesen Vortrag wiederentdeckt und das Thema überhaupt aufgegriffen zu haben. Und doch ist das Buch von Schwächen durchzogen. Bezüge auf die Gegenwart fehlen, werden nicht kommentiert oder schimmern nur zwischen den Zeilen durch. Auch bei der Fotoauswahl scheint sich die Regie für einen konventionellen Bremen-Bildband eingeschlichen zu haben. Das Thema hätte eine ausführlichere Würdigung verdient – der Anfang immerhin ist gemacht.
Christoph Köster
„Bremen – Der Wiederaufbau 1945-1960“, edition temmen, 28 Mark. Buchpremiere am 24. April um 20 Uhr in der Zentralbibliothek Schüsselkorb
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen