piwik no script img

Goldfische in Plastikfolienminis

Sag es durch die Mode: „Art/Fashion“ im New Yorker Guggenheim Museum SoHo zeigt, wie sich Kunst am Glamour des Designs wärmt oder abarbeitet  ■ Von Brigitte Werneburg

Das 21. Jahrhundert ist in New York schon angekommen, und entsprechend der Landessitte wird es „Century 21“ genannt. Es hat sich in Downtown niedergelassen, nahe der Wall Street, was wenig verwundert. Offenbar rennen die Leute wie verrückt ins 21. Jahrhundert, denn überall in Manhattan sieht man Männer wie Frauen, vornehmlich aber kleine Gruppen junger asiatischer Touristinnen, die schwer an ihren „Century 21“-Tragetaschen schleppen. Deren wohlverpacktes Geheimnis: Designermode. Immerhin kann man in diesem Kaufhaus der nahen Zukunft ein Gucci-Blüschen, „retail price 1299,– Dollar“, zum schlappen „our price 499,– Dollar“ erstehen.

Es gibt Statistiken darüber, wieviel Prozent der Kleider vom jeweiligen Designer zum tatsächlichen Preis verkauft und wieviel Prozent mit Rabatten losgeschlagen werden: Versace lag vor zwei Jahren knapp über 50 Prozent, Helmut Lang weit drunter. Da dies in die Kalkulation einfließt, wird verständlich, daß auch teure Marken dem Käufer keine Gewähr dafür leisten, daß sie nicht zu Billigstlöhnen produziert wurden. Das preiswerte 21. Jahrhundert, das die Klassensignatur der Markenkleidung wenigstens bis in die Angestelltenschicht hinein demokratisiert, hat so seine Tücken.

Zunächst war es aber das 20. Jahrhundert, das – dank industrieller Fertigung – erstmals einer bis dahin unvorstellbaren Anzahl von Menschen etwa den Kauf guter Schuhe ermöglichte. Sich mit einem Massenartikel einen Namen zu machen war und ist der Traum des 20. Jahrhunderts. Andy Warhol hätte zum Beispiel gerne etwas wie Blue jeans erfunden, „etwas, damit sich die Leute an einen erinnern. Einen Markenartikel“. Was hätte er zu Bill Gates gesagt? Immerhin revolutioniert inzwischen der Computer auch die Produktion von Levi Strauss, man kriegt die Jeans jetzt auch maßgeschneidert. Zwischen dem Anspruch, die gesamte Menschheit neu einzukleiden, und der Kleinstauflage einer modisch inspirierten oder auch drangsalierten Objektkunst liegt offenbar überhaupt das Engagement der Künstler für die Mode in unserem Jahrhundert.

Das zeigt sich ein Stück weiter oben in Downtown, im Guggenheim Museum SoHo, in der aus Florenz übernommenen Ausstellung „Art/Fashion“. Was auf der dortigen Biennale – die von Germano Celant, Kurator am Guggenheim Museum, Ingrid Sischy, Chefredakteurin von Interview, und dem Modemanager Luigi Settembrini im letzten Sommer eingerichtet worden war – eher für Hohn und Spott denn für Freude sorgte, ist nun nur noch im Modell zu bestaunen: die sieben Pavillons des japanischen Architekten Arata Isozaki, die Gemeinschaftsprojekte je eines Modemachers und eines zeitgenössischen Künstlers enthielten. Nun schnattern also keine dummen Gänse, gackern keine dämlichen Hühner und meckern keine blöden Ziegen mehr, welche unser aller Lieblingsprovokateur Damien Hirst damals der Frau Doktor Miuccia Prada in ihr blaues Häuschen setzte. Das Herabfahren derlei misogyner Kalauer auf Fototapetenformat erweist sich dann doch als Gewinn.

Zu sehen ist in der Ausstellung tatsächlich nur die künstlerische Auseinandersetzung mit der Kleidung, wie sie sich von 1910 bis heute vollzog. Und es ist Christo, der am meisten überrascht. Auf den ersten Blick auch nicht gerade frauenfreundlich, doch ambivalent genug, um zweite Gedanken zu erlauben, ist sein „Hochzeitskleid“ von 1967 das attraktivste Ausstellungstück. Das in weißes Polyestergewebe verschnürte Performance-Mannequin erinnert ebenso an Barbarella wie an eine Lasttierfrau aus der Steinzeithöhle. Sexy steckt es in seinem Zweiteiler, einem Schnürgeschirr, mit dem es eine umfängliche Verpackung hinter sich herzieht. Sie ersetzt einerseits die Hochzeitsschleppe. Da aber dem Hochzeitsmodell der oftmals beigesellte Bräutigam fehlt, könnte man andererseits vermuten, die Last, die die Frau fortan mit sich schleppt, ist der eingepackte Ehemann.

1967 scheint überhaupt ein poppiges Jahr mit einigem Sexappeal gewesen zu sein. Die bunt bedruckten, durchsichtigen Plastikfolienminis, in denen kleine Goldfische schwammen, stammen vom späteren Juteweltkartenweber Alighiero Boetti. Zuvor hatte Lucio Fontana das Prinzip seiner geschlitzten Leinwände auf schlichte Hänger übertragen, wo es vielleicht sogar mehr Sinn machte, zumindest aber schon die nackte Haut und den Körper durchscheinen ließ, das Thema aller späteren Performance-art.

Als Nam June Paik die musikalische Aufführungspraxis zersetzte, entwarf er 1969 für die Cellistin Charlotte Moorman den „TV Bra for Living Sculpture“, auf dessen Monitoren die Zuschauer den Auftritt noch einmal sahen. Von Louise Bourgeois' „A Fashion Show of Body Parts“ (1978) ist ein Kostüm konserviert, das eine Art Körperwurstpelle ist, mit beulenartigen Ausbuchtungen, bei deren Anblick man nicht weiß, handelt es sich um den Wunsch nach mehr mütterlichen Brüsten oder eine cronenbergsche Faszination für Hautkrankheiten.

Der Spaß und der Schrecken, der die Mode begleitet, ist ja der, den ihre Verbindung zu unserem Körper schafft. Letztlich wartet man auf das Kostüm, dem endlich die Schlingen unseres Darms obendrauf genäht sind. Rei Kawakubos Sommerkollektion, die letzten Herbst mit ihren Deformationen – künstliche Buckel, schiefe Schultern – für Aufsehen sorgte, hängt immerhin bei „Barney's“ in der Auslage.

Und wenn man sich erinnert, daß man sich früher wegen der Röntgenfotografie ihrer tuberkulös verschatteten Lunge in eine Frau verlieben konnte, warum sollte man sie heute nicht wegen ihres Buckels begehren? Von Modekrankheiten handelt das eine wie das andere Bild.

Trotzdem waren zu Zeiten, in denen der „Zauberberg“ spielt, die modischen Besorgnisse andere. Die italienischen Futuristen, die gleich die Rekonstruktion des ganzen Universums planten, mußten schließlich eine kleinkarierte und nadelgestreifte Menschheit neu einkleiden. In diesem ersten Teil der Ausstellung, der auch die russischen Konstruktivisten, Sonia Delaunays kubistische und Elsa Schiaparellis surrealistische Kleiderentwürfe zeigt, wird deutlich, wie weit entfernt wir am Ende unseres Jahrhunderts von seinen Anfängen sind. Statt um Lebensreform und Rekonstruktion geht es jetzt um eine kunstspezifische Dekonstruktion. Wiebke Siems Hüte sind zunächst einmal vor allem skulpturale Objekte, kaum vorstellbar, daß man sie auf dem Kopf trägt. Und doch ist es ihr über die Kunst hinausführendes Angebot, das zur konzentrierten Betrachtung verführt. Man schaut sich die Gebilde schon deshalb genauer an, weil im Ernst niemand Kunst auf dem Kopf spazierentragen will. Gingen sie als modische Exzentrik durch? Wie erscheint das Gesicht unter diesen Apparaten? Macht ein großer Hut einen Menschen groß oder klein? Welche Zeichen setzt das Tragen eines Huts? Wo ist die Grenze zwischen Hut und Skulptur? Welche Dimension braucht die Kunst und welche das Kleid?

Beverly Semmes hofft mit ihren raumfüllenden „Watercoats“ und „Blue Gowns“ auf Riesinnen, während Charles LeDray für winzige Männchen näht und entsprechend miniaturisierte Herrenmodemagazine publiziert. Dabei fällt dann auf, daß für die Ausstellungsmacher Mode meistenteils nur ein Synonym für die Frau ist. Der Mann und sein Anzug, das raffinierteste Instrument gesellschaftlicher Distinktion, fehlt. „From Army to Armani“, die Dokumentation der Zugreise von London nach Mailand, die Tracey Emin und Sarah Lucas 1993 in Travestie unternahmen, hätte „Art/Fashion“ gut (an-)gestanden. Zunächst reisten Emin und Lucas in Armeemontur und rauchten zollfreie Marlboro Lights, um auf der Rückreise im Armani-Anzug die fetten Zigarren zu zücken. Aber soviel „aktuelle Härte“ (Christoph Blase) ist in der New Yorker Kunstszene derzeit keinesfalls angesagt.

Bis 8. Juni, Guggenheim Museum SoHo, New York

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen