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Ein Bürgermeister wie ein Duodezfürst

Juri Michailowitsch Luschkow regiert die russische Hauptstadt mit beinharter Autorität. Flammender Patriotismus und rigide Ordnungsphantasien zeichnen den beliebten „Mer“ aus  ■ Von Klaus-Helge Donath

(Moskau/taz) – Die Dramaturgie hatte es eigentlich anders vorgesehen. Langsam sollte der Meister vom Himmel schweben, statt dessen sauste Moskaus politisches Schwergewicht, Bürgermeister Luschkow, mit gehörigem Karacho von der Zirkuskuppel hinab in die Manege und brach sich den Fuß. Ausgerechnet er, der immer auf sichere Bodenhaftung achtet und eine Aura der Unverletzlichkeit um sich erzeugt. Das Mißgeschick der Generalprobe hielt den umtriebigen Stadtvorsteher nicht ab, selbst mit Gipsfuß den Feierlichkeiten beizuwohnen. Mit brummigem Baß intonierte er zur Begeisterung des Auditoriums den Gassenhauer „Wir pfeifen doch drauf“ aus der sowjetischen Krimikomödie „Die Brillantenhand“. Das Publikum war hingerissen und der lädierte Bürgermeister trotz aller Unbill unbestrittener Star des Abends. Der Chef der Metropole versteht es glänzend, Nähe und Verbundenheit mit seinen Wählern zu demonstrieren. Egal wo er auftaucht, ob er spontan zu Liza Minelli auf die Bühne hüpft und sie schweißtriefend umarmt oder bei klirrender Kälte in ein dampfendes Eisloch in der Moskwa springt. Der untersetzte 60jährige hat das Volk fast immer fest im Griff – und die Medien im Schlepptau.

Die Hauptstädter wissen, was sie an ihrem „Mer“, so das französische Lehnwort im Russischen für Bürgermeister, haben. Mit beinah 90 Prozent der Stimmen bescherten sie Luschkow im vergangenen Juni eine zweite Amtsperiode. Niemand zog das traumhafte Ergebnis in Zweifel, es entsprach einfach der Stimmungslage. Denn Juri Michailowitsch ist nicht nur ein begnadeter Unterhaltungskünstler, Temperament und Energie beweist er auch in seinem Gestaltungswillen. Lediglich an Geschmack und Stilsicherheit fehlt es.

Seit Präsident Jelzin 1992 den ehemaligen Chemieingenieur zum Bürgermeister ernannte, hat sich das Stadtbild der völlig verkommenen Metropole nicht nur verjüngt, sogar ein Hauch Urbanität weht hier und dort. Altbauten erhielten einen neuen Anstrich, Adelspaläste müssen ihre Herkunft nicht mehr verleugnen, der Innenstadtverkehr fließt, und langsam wächst das Fundament einer modernen Infrastruktur. Jährlich entstehen mehrere Millionen Quadratmeter Wohnfläche. Die Ringautobahn, die den Zehn-Millionen-Moloch umschließt, ehemals eine Todesstrecke, auf der jährlich über 200 Menschen starben, hat nun Fußgängerüberführungen, Licht und Leitplanken. Die Stadtverwaltung bemüht sich, selbst in den weniger renommierten Vorstädten, die Straßen in Schuß zu halten. In der Innenstadt unter dem Manegeplatz entsteht unterdessen ein mehrgeschössiges Einkaufs- und Flanierzentrum. Mit dunklem Proletenlederkäppi, das der selbstverliebte Mer nicht einmal zu Ehren der britischen Queen gegen unauffälligeres Hutwerk eintauschte, erscheint er einmal wöchentlich auf deren Baustelle zur Inspektion.

Populist Luschkow vergißt indes auch jene Bürger nicht, die unter die Räder der Reform geraten sind. Pensionären und Invaliden gewährt er aus dem Stadtsäckel einen 50prozentigen Zuschuß, den der Volksmund dankbar „Luschkow-Zuschlag“ taufte.

Noch weist Luschkow jede Ambition auf den Präsidentensessel brüsk von sich. Zur Zeit scheint die Nachfolgerfrage nicht so drängend. Für Draufgänger Luschkow kein Grund, sich zurückzulehnen. Gestern empfing ihn Bill Clinton im Weißen Haus zu einer 45minütigen Unterredung. Der Bürgermeister beklagte sich unverblümt über die mangelnden US-Investitionen in Rußland. Bill solle doch seine Landsleute zu mehr Engagement bewegen.

Unermüdlich werkelt er an einem nationalen Profil. Im Oberhaus der Staatsduma hofiert er Gebietsfürsten der florierenden Regionen, um sie für ein mächtiges Bündnis gegen das Zentrum zu gewinnen. Immer häufiger bereist er die Provinz, um sich fernab der Hauptstadt einzuführen. Womöglich kann auch Moskaus lokaler Fernsehsender, dessen ständiger Gast er ist, bald ein landesweites Programm ausstrahlen. Seine Effizienz hat ihm zumindest bei den lokalen Eliten Respekt verschafft.

Einflußreiche Kreise aus Finanz- und Geschäftswelt, zu denen der Mer ohnehin engste Verbindungen pflegt, halten ihn für einen aussichtsreichen Thronprätendenten. Der nach außen gemütliche und freundliche Juri Michailowitsch verkörpert den Typus eines erfolgreichen Russen, wie ihn das Volk gerne sähe. Er bricht mit der Tradition des russischen Märchenhelden Iwan, der träge auf dem Ofen dämmert und hofft, eines Tages möge ihm das Glück von alleine zufallen. Und er ist auch nicht jener Intellektuelle Oblomow, der sinniert und wehklagt, dem aber der Mumm fehlt, in den Lauf der Dinge einzugreifen.

Die Parfümfabrik Nowaja Zarija entwickelte ihm zu Ehren sogar ein neues Produkt: Eau de Luschkow, Duftnote „frisch und maskulin“. Eine Mitarbeiterin setzte immense Hoffnungen in die Kreation: „Vielleicht inspiriert es die Männer, sich von der Couch zu erheben, Verantwortung zu übernehmen und das Leben der russischen Frauen zu erleichtern.“ So wird ein Mythos gestrickt, an dem der Bürgermeister kräftig mitwirkt.

All dies macht ihn zu einem vielversprechenden Herausforderer des ambitionierten Alexander Lebed, den das Establishment fürchtet, weil er sich den Gepflogenheiten in den Zirkeln der Macht nicht unterordnen will. An flammendem Patriotismus und rigiden Ordnungsphantasien steht Luschkow dem General in nichts nach. Wo immer sich die Gelegenheit bietet, erhebt sich Luschkow zum Sachwalter der „russischen Staatlichkeit“ und „territorialen Integrität“. Er kritisiert öffentlich den Friedensschluß in Tschetschenien als Verrat und Kapitulation. Reist nach Sewastopol auf die ukrainische Halbinsel Krim und deklariert die Marinebastion zu urrussischem Grund und Boden. Den bosnischen Serben verspricht er großzügige Hilfe, um die Einheit der orthodoxen Gläubigen zu zementieren. Als Bürgermeister zögerte er nicht, die Hauptstadt von Kaukasiern zu „säubern“ und Ladenbesitzern vorzuschreiben, lateinische Reklameschilder durch kyrillische zu ersetzen. McDonald's schuf er Konkurrenz durch ein „Russisches Bistro“.

Ob die Mehrheit der russischen Wähler tatsächlich wieder einen Präsidenten bevorzugt, der sich eines autoritären Führungsstils befleißigt, scheint trotz aller Sympathien auf längere Sicht eher unwahrscheinlich. Noch sind die Moskauer mit dem Bürgermeister zufrieden, obwohl er die Geschicke der Stadt wie ein feudaler Duodezfürst lenkt, der keine Götter neben sich duldet. Aber das kann er sich nur erlauben, weil er den alleinigen Zugriff auf die sündhaft teuren Immobilien der Stadt in der Hand hat. Bankiers und Medienmagnaten assistieren ihm, weshalb man in Moskau selbst nach der zaghaftesten Kritik am Stadtvorsteher vergeblich sucht. Aber so etwas geht gewöhnlich nur eine Weile gut.

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