Verdrängung oder Transitbezirk

■ Über die Hälfte der 140.000 Bewohner Prenzlauer Bergs haben seit der Wende den Kiez verlassen. Andere sind zugezogen. Ist die Politik der „behutsamen“ Stadterneuerung gescheitert?

„Einer muß die Altbausanierung bezahlen“, faßte der Chef der Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N., Theo Winters, zusammen: „entweder die Mieter, der Eigentümer oder der Staat.“ Was aber tun, wenn die Mieter nicht zahlen können, die Eigentümer nur verdienen wollen und der Staat kein Geld mehr hat? Ist die behutsame Stadterneuerung tatsächlich – wie Mieterberater und Betroffenenvertreter seit Jahren beklagen – am Ende? Oder ist nur der aus Kreuzberg importierte Sanierungsapparat am Ende? Könnten die verbliebenen Mittel zum Schutz der Mieter vor Verdrängung nicht sogar effizienter eingesetzt werden?

Vor allem aber: Müßten die vorhandenen rechtlichen Mittel wie Leerstandsverbot, Instandhaltungsgebot nicht konfrontativer gegen die Hauseigentümer eingesetzt werden? Seit geraumer Zeit schwelt dieser Konflikt zwischen einigen Betroffenenvertretungen in Prenzlauer Berg und dem Sanierungsträger S.T.E.R.N. Am Montag abend wurde der Streit im Pfefferberg unter der Fragestellung „Yuppietown Prenzelberg – wohin treibt unser Bezirk?“ nun erstmals öffentlich ausgetragen.

Anlaß war eine Studie, die der Ostberliner Politologe Matthias Bernt im Auftrag des PDS-Abgeordneten Bernd Holtfreter erstellt hatte. Bernt versucht darin nicht nur die Ursachen für den seit 1990 erfolgten Austausch von 50 Prozent der 140.000 Bewohner von Prenzlauer Berg zu formulieren. Er erklärte auch die bisherige Sanierungspolitik für gescheitert. Immerhin, so Bernt, lägen die Mieten bei einer öffentlich geförderten Stadterneuerung mitunter sogar über den vom Bezirk festgelegten Mietobergrenzen. Bernts Fazit: „Die ablaufenden Veränderungen scheinen sich fast völlig der Beeinflussung durch die Politik der behutsamen Stadterneuerung zu entziehen. Sie widersprechen diametral den von Senat und Bezirk gesetzten Sanierungszielen eines Erhalts der bestehenden Sozialstrukturen.“

Doch nicht nur die Bewertung der von Sanierungsträgern wie S.T.E.R.N. getragenen „behutsamen“ Stadterneuerung blieb an diesem Abend kontrovers. Auch die Diskussion um Verdrängung ließ viele Fragen offen. Michail Nelken, Betroffenenvertreter im Gleimviertel und ebenfalls PDS- Abgeordneter, berichtete, daß vor allem Familien mit mittlerem Einkommen den Bezirk verlassen würden. „Die gehen nicht, weil sie die Mieten nicht zahlen können“, sagte Nelken. Er forderte deshalb vor allem für die Bevölkerungsgruppen, die sich mit Abwanderungsgedanken trügen, die Attraktivität des Bezirks zu stärken, etwa durch den Ausbau der Infrastruktur. Eine Verbesserung für die Bewohner forderte auch eine Mitarbeiterin der Mieterberatung Prenzlauer Berg: „Warum sollte man unter den Stichwörtern Licht, Luft, Sonne nicht auch darüber nachdenken, ob nicht der ein oder andere Abriß möglich wäre.“

Für den Verfasser der PDS-Studie, Matthias Bernt, greift eine Orientierung auf die Abwanderungswilligen zu kurz. Er fordert zusätzlich eine Politik der „Deattraktivierung“ gegenüber jenen, die in den Bezirk drängten. Gerade die „Attraktivität“ von Prenzlauer Berg, erläuterte Bernt den Prozeß der von ihm untersuchten „Gentrifizierung“, führe zu einer Erhöhung des Investitionsdrucks und zur Verdrängung der Bevölkerung.

Von „Deattraktivierung“ wollte die Mehrheit der Anwesenden freilich nichts wissen. „Wir sind doch froh, daß hier junges Blut in den Bezirk kommt“, freute sich eine Rentnerin. Eine andere Rednerin verwies darauf, daß es sich beim Prenzlauer Berg schon immer um einen Transitbezirk gehandelt habe. Uwe Rada