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Der große Bluff der Industrie

Klimaschutz-Verpflichtung des BDI ist nur Etikettenschwindel: Am Ende könnte die Industrie 2005 mehr Kohlendioxid ausstoßen als 1990  ■ Von Peter Hergersberg

Schaut her, wir schützen das Klima, jubeln Vertreter der Industrie und pochen als strahlende Saubermänner auf die 20 Prozent Kohlendioxidreduktion, die sie zwischen 1990 und 2005 versprochen haben. Doch das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie (WI) zerpflückt diese großspurige Zusage, die in der Bonner Umweltpolitik auch als Selbstverpflichtungserklärung gehandelt wird, in einer neuen Studie, die der taz vorliegt. „Der Rückgang wird sehr viel geringer ausfallen“, stellt Gutachterin Kora Kristof darin fest. „Je nach wirtschaftlicher Entwicklung und abhängig vom Marktverhalten einzelner Unternehmen kann 2005 unter dem Strich sogar mehr Kohlendioxid als 1990 in die Atmosphäre gepustet werden.“

Der Grund: Die Industrie bezieht die Verringerung nicht etwa auf absolute Zahlen, sondern auf die produzierte Menge. Die freilich soll bis 2005 ordentlich wachsen. Beispielsweise will der Verband der Metallwirtschaft zwar an jeder Tonne Ware 22 Prozent Kohlendioxid einsparen – scheinbar eine Übererfüllung der Verpflichtung. Doch die Metaller sehen sich als Zukunftsbranche und erwarten für die kommenden Jahre einen starken Absatzzuwachs.

Damit nicht genug. Die Industrievertreter bleiben mit ihren auf die Menge hergestellter Güter bezogenen Einsparvorhaben sogar hinter den Prognosen der Bundestags-Enquetekommission „Schutz der Erdatmosphäre“ zurück: Um 40 Prozent müßten sich danach die Treibhausgase verringern, die die Industriebetriebe pro Tonne Güter herausbläst. Diese Entwicklung ist unabhängig davon, ob sich die Unternehmen fürs Klima besonders ins Zeug legen oder nur business as usual betreiben. Allein der technische Fortschritt, den die Marktkonkurrenz erzwingt, bewirkt diese Einsparungen. In dem Deal mit der Bundesregierung genehmigte sich die Industrie einen satten Puffer von 20 Prozent. So geht der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) auf Nummer Sicher – und heimst öffentlich trotzdem Lorbeer ein. Zur Farce verkommt die Beteuerung, sich die Einsparungen unter „großer Anstrengung“ abzuringen.

Ein Teil des Ausstoßes wird ins Ausland verlegt

Absolute Einsparziele, wieviel fürs Klima summa summarum rausspringen soll, lassen sich allerdings nur wenige Mitgliedsverbände des BDI entlocken. Bis zum Stichtag vermutet die Stahlindustrie, die Atmosphäre absolut mit 22 Prozent weniger Klimakillern zu belasten, der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) verspricht ein Viertel weniger. Bilden sie die großherzige Ausnahme vom Klimaschwindel? Die Forscher vom WI schlüsseln auch das auf. Danach gehen die absoluten Kürzungen, die bis 1997 wirkten, auf das Konto von Betriebsschließungen – vor allem in Ostdeutschland. Ein Teil des Ausstoßes wird mit der Produktion ins Ausland verlegt. Der Verdacht liegt nahe: In diesen Branchen war es schlicht günstiger, absolute Werte anzugeben.

Hinter der kernigen Zusage der kommunalen Unternehmen wittert Klimaexpertin Kristof sogar noch einen anderen Statistikertrick. Die Elektrizitätswerke der VKU sind meist Mitglieder in mehreren Verbänden des BDI. Kristof hegt den Verdacht, daß sie sich ihre Verdienste um das Klima mehrfach gutschreiben lassen.

Doch Schelte muß nicht nur die Industrie einstecken, auch die Klimapolitiker der Bundesregierung bekommen ihr Fett weg. Als Gegenleistung für die bröckeligen Angebote der Industrie verzichtet die Exekutive auf alle Druckmittel. Es wird weder eine Wärmenutzungsverordnung noch eine Kohlendioxidsteuer geben. „Die Politik ist der Wirtschaft ziemlich auf den Leim gegangen“, urteilt Kristof. Nun stecken die Klimapolitiker der Regierungskoalition in einem Dilemma. Kanzler Kohl hat schon 1992 in Rio lauthals verkündet, aus Deutschland würde bis zum Jahr 2010 ein Viertel weniger Klimakiller in die Atmosphäre dringen. Seine Umweltministerin Angela Merkel mußte in der vergangenen Woche bereits einräumen, daß mit der derzeitigen Politik nur 15 Prozent zu schaffen sind. Bei den geringen Anstrengungen der Industrie wird das Rennen gegen die Klimaveränderung zu einem schlappen Lauf: Zu einem Drittel ist sie am Energieverbrauch in Deutschland beteiligt. Mitnichten aber wird sie ihren Anteil an der Klimaschädigung in dieser Größenordnung senken. Martin Baumert, Mitglied der Enquetekommission Mensch und Umwelt, urteilt: „Die Industrie hat weitaus größere technische Möglichkeiten, ihren Anteil am Klimaumbruch zurückzuführen.“

Die Arbeitsgruppe des WI umreißt in ihrem Papier das Modell einer Selbstverpflichtung, die diesen Namen verdient. Danach müßten die Soll-Emissionen regelmäßig an die technischen Möglichkeiten angepaßt werden. Die spezifischen Reduktionsziele sollten durch absolute ersetzt werden. Unternehmen, die sich selbst wieder aus der Pflicht nehmen, müßten Sanktionen drohen. Baumert zum Status quo: „In dieser Fassung ist die Erklärung Augenwischerei.“

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