Keine Politik im Vorzimmer

■ Karin Meliß, die rechte Hand der Senatoren und des Bürgerschaftspräsidenten

Raststätte Grundbergsee, 40 Kilometer nördlich von Bremen an der Autobahn. Ein Schuß fällt. Kurz darauf zieht ein Journalist den leblosen Körper eines 15jährigen Schülers aus einem Bus der Bremer Verkehrsbetriebe. Nach 39 Stunden hatte das Gladbecker-Geiseldrama im August 1988 sein erstes Todesopfer gefordert. Als Karin Meliß, damals Sekretärin von Innensenator Bernd Meyer, am nächsten Morgen im Büro ans Telefon geht, zischt ein Anrufer eine Morddrohung in den Hörer. Wenig später findet sie einen Drohbrief in der Post. Nachmittags ruft ein Journalist an: „Wenn der Innensenator zurücktreten will, dann bitte vor 16 Uhr, wir haben Redaktionsschluß.“

„So ging das tagelang. Es war die schlimmste Zeit, die ich je während meines ganzen Berufslebens erlebt habe“, erinnert sich Karin Meliß. Und erlebt hat die 60jährige Sekretärin eine Menge. 26 Jahre lang hat sie Bremens Politik aus nächster Nähe verfolgt. Als rechte Hand von Wilhelm Schneider (Senatsdirektor im Justizressort in den 60er Jahren), von Wolfgang Bohle (Senatorsdirekor Justiz), von Bernd Meier (SPD, Bausenator 1979-1987 und Innensenator von 1987-1988), von Claus Grobecker (SPDFinanzsenator von 1985-1994), von Claus Jäger (FDP Wirtschaftssenator von 1991-1994) und von Reinhard Metz (CDU) war sie „dabei, ohne mitzumischen“. Bis Juni wacht sie jetzt noch über das Telefon, den Terminkalender und die Briefe des Bürgerschaftspräsidenten. Dann geht sie in Rente.

Daß sie für viele Polit-Größen dieses Landes unersetzlich werden würde, hätte sich die gelernte Bürogehilfin nicht träumen lassen, als sie 1971 als Schreibkraft im Justiz-Ressort anfing. Damals saß sie im Schreibzimmer des Landgerichts und bekam den Justizsenator Ulrich Graf (FDP) nie zu Gesicht. Das änderte sich schlagartig, als kurz darauf die Koalition zwischen SPD und FDP zerbrach. Wolfgang Kahrs (SPD) wurde Grafs Nachfolger und Karin Meliß sprang ein, wenn die Sekretärin des Justizsenators krank oder in Urlaub war. 13 Jahre arbeitete sie im Justizressort. „Damals herrschte noch Aufbruchstimmung“, erinnert sich Karin Meliß. „Da wurde mal eben eine neue Justizvollzugsanstalt für den offenen Vollzug gebaut. Politik konnte noch was bewirken, weil einfach mehr Geld da war.“Doch das Geld wurde knapper. „Das bekamen wir zu spüren. Wir hatten immer weniger zu tun. Also suchte ich mir einen neuen Job“, erzählt Karin Meliß. Sie ging zu Bernd Meyer, der damals noch Bausenator war. „Der Hemelinger Tunnel hat uns damals schon beschäftigt“, lacht Karin Meliß.

Als Meyer 1987 Innensenator wurde, hielt sie ihm die Treue. „Bernd Meyer war mit Leib und Seele Senator. Und dann kam das Geiseldrama.“Nach den Morddrohungen wurde der Senator „rund um die Uhr bewacht“, erinnert sich Karin Meliß. Eine Krisensitzung im Senat jagte die nächste. Doch egal, wie spät es war, wenn der Senator in das Haus an der Contrescarpe zurückam – sein persönlicher Referent und seine Sekretärin warteten auf ihn. „Wir konnten ihn doch nicht alleine lassen.“

Im November 1988 trat Meyer auf Drängen der SPD zurück. „Bernd hat mich von unterwegs angerufen und gesagt, Karin, Du mußt Dir einen neuen Senator suchen. Ich habe gesagt, ich will keinen neuen Senator und hab' angefangen zu heulen“, erzählt Karin Meliß. „Er war das Bauernopfer“, ist sie noch heute sicher. „Aber als Sekretärin wird man von den Wirren der Politik hin- und hergeschleudert und kann nichts machen.“

Mittlerweile hatte sich Karin Meliß nicht nur als Sekretärin, sondern auch als Genossin einen Namen gemacht. Bis 1981 saß sie für die SPD im Beirat Steintor und Östliche Vorstadt. Später wurde sie Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen im Unterbezirk Ost. Claus Grobecker, den sie aus ihrer politischen Arbeit kannte, rief an und sagte: „Karin, du kommst zu mir.“Als zwei Stunden später der frischgebackene Innensenator Peter Sakuth (SPD) anklopfte, war Karin Meliß schon vergeben. „Grobecker war schon damals für die Große Koalition“, weiß Karin Meliß. „Er fand, man solle die CDU mit in die Verantwortung nehmen. Aber er war der einsame Rufer in der Wüste.“Die Große Koaltion lag noch in ferner Zukunft, statt dessen zog 1991 die Ampelkoalition ins Parlament. Grobecker war nicht mehr mit von der Partie. Karin Meliß ging zu Claus Jäger (FDP) ins Wirtschaftsressort. „Ich hatte als SPD'lerin damit keine Probleme. Im Vorzimmer macht man keine Politik.“Als sie 1995 Sekretärin von Reinhard Metz wurde, ging für sie ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. „Ich wollte schon immer in die Bürgerschaft“, bekennt Karin Meliß. „Aber als Abgeordnete.“Doch dafür reichte Platz 62 der Landesliste, auf der sie 1979 stand, nicht. Wenn sie im Juni in Rente geht, will sie sich ganz von der Politik verabschieden. „Ich mag Politik nicht mehr. Nichts ist mehr wahrhaftig. Früher war klar zu erkennen, wer was will. Heute geht es nur noch um Taktik.“

Die wichtigsten Eigenschaften einer guten Sekretärin? Karin Meliß, die im übrigen letzte Woche geheiratet hat und jetzt Reimers heißt, („Aber unter dem Namen kennt mich ja keiner“) überlegt nicht lange. „Diskretion“, sagt sie prompt. Und wer war ihr Lieblingschef? „Das verrate ich Ihnen nicht. Das bleibt mein Geheimnis.“ kes