■ Vorschlag: Ich küsse doch: „Diebe der Nacht“ von André Téchiné
„Das Glück gibt es nicht, aber wir haben das Recht, danach zu suchen“, heißt es in André Téchinés neuestem Film. Ein nicht besonders kriminalistischer Kriminalfilm, der einem über die Verlorenheit seiner Charaktere näherkommt. Die Kriminalgeschichte um eine Autoschieberbande wird bald unwichtig. Obwohl es eine Off- Stimme (Daniel Auteuil) gibt, die das Gröbste kommentierend zusammenhält, bleibt die Struktur polyphon.
Die junge Juliette (Laurence Cote) ist eine Herumtreiberin und natürlich eine Diebin. So trifft sie eines Tages zwangsläufig auf den Flic Alex (Daniel Auteuil), der sie erst einmal als kleine Kleptomanin abhakt und aus seinem Lyoner Vorstadtbüro scheucht.
Als beide sich später zu schnellem und rauhem Sex in wechselnden Hotelzimmern treffen, scheinen sie die gegenseitige Fremdheit zu genießen. Interessant wird Juliette für den wesentlich älteren Alex allerdings erst, als sie ihm einen tätowierten Schriftzug auf ihrem Oberschenkel zeigt: Marie.
Denn eigentlich ist Juliette Studentin, Marie (C. Deneuve) ihre Professorin und beide ein Paar. Außerdem schreibt Marie an einem Buch über ihre Geliebte, ein Unterpfand ihrer Liebe quasi, wozu sie Juliettes Äußerungen auf Tonband bannt. All dies erfahren wir indirekt, nur einmal sehen wie Deneuve/Cote beim zärtlichen Bad. Die Andeutung einer Andeutung sozusagen muß reichen. Analog wird Stück für Stück aus dem Kriminaler ein verstohlener Spion, der sich in den Hörsaal schleicht, um herauszufinden, wer diese Frau ist und was sie treibt.
Als Juliette schließlich im Verlauf eines Verbrechens untertaucht, werden aus den Rivalen Alex und Marie unversehens hilflose Randfiguren. In einer als Flirt getarnten Szene sitzen sie wie zwei abgehalfterte Warlords auf den Barhockern nebeneinander. Deneuve zückt den Flachmann mit Whiskey, Auteuil trinkt mit, aber die Geste bleibt hohl. Die verschwundene gemeinsame Geliebte wird ein Vorwand, sich zu treffen. Eine Tatsache, die beiden noch unklar ist, aber doch ihr Handeln bestimmt. Und womöglich um diesmal ein vollständiges Verschwinden zu verhindern, sammelt Flic Alex Spuren: Als Marie nach einem Essen zusammenbricht und sich hinlegen muß, macht er heimlich ein Foto von ihr. Später wird dieses intime Motiv wie eine Ikone seinen Kaminsims zieren. Gudrun Holz
„Diebe der Nacht“. Regie: André Téchiné. Diverse Kinos
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