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■ Welt Weit GrönlingFrühjahrsputz mit Gefühl

Was nützen die schönsten Frühlingsgefühle, wenn sich der Frühling einfach nicht blicken läßt? Neidvoll lese ich eine E-Mail aus München, die mit vielen Grüßen aus dem sonnigen Süden unterschrieben ist. Aber für Inline-Skater ist es noch zu kalt, man bleibt lieber online. Unsereiner läßt sich auf dem Fahrrad den Sturm ins Gesicht peitschen und wird sogleich an Arno Schmidt erinnert, der in einer ähnlichen Situation vor dem Rathaus stehenblieb und überlegte, ob denn die Blumen im Beet davor „Gremien“ heißen.

„Aprilensturm und Regenwucht kündet Wein und goldne Frucht.“ Hoffentlich stimmt die Bauernregel. Nicht mal die Fenster putzen kann ich, die wären gleich wieder vom Regen verschmiert. Außerdem ist es viel zu kalt. Aus lauter Frust beschließe ich, wenigstens die Platte zu putzen und endlich die Homepage zu reparieren. Weg mit dem Plunder vom letzten Winter! Weg mit all den kleinen Spielzeugen, den Patiencen und Midi- Sequenzern, die so manchen langen Winterabend erträglich machten. Und weg mit dem alten Mailprogramm; es gibt ein neues, das sehr viel besser sein soll.

Doch es kommt anders: Beim Aufräumen lösche ich versehentlich das ganze Mailverzeichnis mitsamt Adreßbuch und dem schönen Ordner „Dankschreiben aus aller Welt“. Diesmal trifft Bill Gates keine Schuld, ich hab' selber auf OK geklickt. Eine Sicherheitskopie gibt es nicht – das ist nur was für Anfänger. Mein kleines Stückchen Telekomik, die ISDN-Konfiguration und Auffahrt zum Datenhighway, ist gleich mit über den Jordan gegangen. Ron Sommer ist diesmal unschuldig. Ich hol' das alte Modem aus dem Keller, und das Wochenende ist gerettet. Wenn es im real real life schon keinen Frühling gibt, dann doch wenigstens im Internet. Das neue CompuServe-Programm ist schnell installiert, mit noch mehr Power und noch mehr Extras – und wieder schieße ich alles ab. Nein, Felix Somm kann nichts dafür: Telefonisch konsultierte taz-Redakteure versicherten, daß es zwar ein wenig langsam, aber ansonsten völlig in Ordnung sei.

Was also tun? Noch mal raus in den Sturm? Zwitschernde Vöglein im Frühling würden selbst ein hartgesottenes Kolumnistenherz erfreuen, und eilige Mail kann ich neuerdings auf dem Display des Fahrradtelefons empfangen. Aber so etwas? Im antiseptischen Web gibt es auch keinen Frühling, jedenfalls keinen echten. Und das reale Klima katapultiert uns garantiert wieder mitten in den Hochsommer und läßt den Frühling ausfallen. Dieter Grönling

groenling@compuserve.com

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