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„Eigentlich isses hier ruhig“

Gestern wurden die Täter verurteilt: Das brandenburgische Städtchen Trebbin nach dem schweren Überfall auf italienische Bauarbeiter im letzten Herbst  ■ Von Andrea Böhm

Cihan Burak und Werner Grubert haben sich ganz unabhängig voneinander ihre Gedanken gemacht. Über die Deutschen, über die Freiheit und über die Arbeit. „Wer nicht arbeitet, wird bösartig“, sagt Burak und wischt die Theke seiner Imbißbude vor dem neuen „Penny“-Markt in Trebbin. „Wir Ausländer schuften hier 13 oder 14 Stunden am Tag, und die Ostdeutschen leben vom Sozialamt und vom Kindergeld, weil sie keinen Bock haben auf acht Mark Stundenlohn.“ Er kratzt das kalte Fett vom Döner-Messer und macht eine unbestimmte Handbewegung in Richtung Luckenwalde.

„Freiheit is' ja schön, aber man muß wat damit anfangen können“, sagt Werner Grubert, Ex-Bürgermeister der Kleinstadt, räkelt sich auf dem Fellbezug seines Wohnzimmersessels und dreht mit der Fernbedienung Theo Waigel den Ton ab. „Früher, da gab's die FDJ und die Jungen Pioniere. Da kriegten die Jungs wat vorgegeben. Teilweise mußten die ja nicht mal selber denken. Jetzt sind se nich mehr eingebunden.“

Selber denken. Es ist nicht ganz klar, wann der 22jährige Jan Weicht begann, selbst zu denken, daß ihn Ausländer irgendwie störten. Jetzt sitzt er wegen versuchten Mordes auf der Anklagebank im Saal 15 des Landgerichts in Potsdam und dreht und wendet mit sichtlichem Interesse ein Foto in den Händen. Es zeigt den Querschnitt eines Gehirns – gleichmäßig rund bis auf die deutliche Einbuchtung auf der linken Seite. Innere Schädelblutung und Schädelbruch, lautete die ärztliche Diagnose, aufgrund massiver äußerlicher Gewalteinwendung. Der Patient, Orazio Giamblanco, 55 Jahre alt, Bauarbeiter, seit 30 Jahren wohnhaft in Westdeutschland und zum Zeitpunkt der äußerlichen Gewalteinwirkung am 30. September letzten Jahres auf Montage im brandenburgischen Trebbin, blieb mehrere Wochen im Koma. Er wird vermutlich nie wieder sprechen oder gehen können.

Die Einbuchtung in seinem Gehirn entstand durch einen Baseballschläger, den der Angeklagte Weicht „mit der rechten Hand“ nur „ganz sachte geschwenkt“ haben will. Der Mitangeklagte Francesco H. (20) will nichts gesehen, nur etwas gehört haben. „Es hat geklatscht.“

Orazio Giamblanco war am Abend des 30. September 1996 gegen 22 Uhr aus der Pizzeria „Chamäleon“ mit zwei Kollegen auf dem Weg zurück in die Containerunterkunft. Rund 25 italienische Bauarbeiter waren angeheuert worden, am Ortseingang von Trebbin gegenüber der Tankstelle einen Wohnpark hochzuziehen. Die Tankstelle war Einkaufsgelegenheit für die Italiener und Treffpunkt für rechtsradikale Jugendliche aus Trebbin und den Nachbarorten. Am Tag zuvor – das ergeben im Verlauf der Ermittlungen die widerwilligen Zeugenaussagen einiger Jugendlicher – hatte man sich im Kreise Gleichgesinnter „darüber unterhalten“, ein paar Italiener „aufzuklatschen“.

Der Tatendrang bleibt ungestillt bis zum folgenden Abend, als Weicht und H. zusammen mit zwei Freundinnen, einer Pistole, einem Baseballschläger, einem Bajonett aus NVA-Beständen und ein paar Kassetten mit Nazirock in ihrem Trabant die drei im Gänsemarsch laufenden Bauarbeiter passieren. Die hätten gepöbelt, behauptet Weicht. Ein „kleenet Gespräch“, so der Angeklagte H., sei nötig gewesen, weswegen er mit einer Pistole und Weicht mit einem Baseballschläger aussteigen. Nach Darstellung der Opfer und der Staatsanwaltschaft fragen die beiden Deutschen lediglich: „Seid ihr Italiener?“ Dann klatscht es.

Und ein paar Tage später kracht es gleich noch mal. Fünf Skinheads demolieren mit dem Slogan „Ausländer ausräuchern“ Scheiben und Einrichtung des „Chamäleon“. Trebbin mit seinen 4.500 Einwohnern, seinem neuen Parkhotel und dem neuen Möbelkaufhaus „Tegeler“ ist in den Schlagzeilen. Nicht nur in Brandenburg, wo das Innenministerium zu diesem Zeitpunkt noch auf eine „Konsolidierung rechtsradikaler Straftaten auf Vorjahresniveau“ hofft, sondern auch in der italienischen Presse, wo man sich in Erwartung des europäischen Einigungsprozesses fragt, was wohl schwerer zu garantieren sei: die Einhaltung der Maastricht- Kriterien oder die körperliche Unversehrtheit ihrer Landsleute auf deutschem Territorium.

Cihan Burhak und Werner Grubert hat der Überfall auf die Bauarbeiter nicht überrascht. „Höchstens die Brutalität“, sagt Grubert. Die beiden kennen sich nicht, denn Grubert, der am Ortseingang von Trebbin wohnt, steht nicht auf Döner Kebab, das Burak am anderen Ende des Städtchens verkauft. Aber sie bringen ihre ganz eigene Expertise ein. Burak mit dem Bewußtsein, daß eine Döner-Bude in einer ostdeutschen Kleinstadt ein erhöhtes Berufsrisiko mit sich bringt, weswegen er auch nicht Cihan Burak heißt, sondern seine Ansichten über potentielle Kunden und potentielle Angreifer unter anderem Namen preisgibt.

Das Geschäft geht einigermaßen gut, besser jedenfalls als im Döner-überversorgten Berlin. Einen Überfall wie im September auf die Pizzeria kalkuliert er ein. „Und dann werde ich mich natürlich wehren“, sagt der ehemalige Wirtschaftsstudent aus Istanbul und schränkt im selben Atemzug ein: „Das Problem ist: Die kommen ja nie allein, sondern immer gleich zu fünft oder zehnt.“ Er hätte wahrlich schlechte Karten – so kurz vor Geschäftsschluß auf dem gähnend leeren „Penny“- Parkplatz an der Landstraße nach Luckenwalde und fern von jeder Polizei. Als letzten Monat ein Opel mit quietschenden Reifen vor dem Supermarkt hielt und zwei bewaffnete Männer die Kasse ausraubten, „da dauerte es eine Stunde, bis die Polizei hier war“.

Rechtsradikalismus ist in Trebbin so neu nicht, bloß „stand das damals nie in der Presse“, erinnert sich Werber Grubert, Bürgermeister in Trebbin von 1968 bis 1985. Hakenkreuz-Schmierereien zum 1. Mai oder zum 7. Oktober waren zu DDR-Zeiten eher die Regel als die Ausnahme. Auch bei der internationalen Solidarität und Völkerverständigung klaffte der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis ganz erheblich. „Also“, sagt Grubert, „da gab's Probleme mit den Negern.“ Die „Neger“ waren Vertragsarbeiter aus Angola und Mosambik, die im örtlichen Möbel- und Automobilwerk bei der Einhaltung des Plansolls mithelfen sollten. Zwischen den Schwarzen und deutschen Jugendlichen kam es mehrfach zu Schlägereien. Kulturelle Differenzen, analysiert Grubert. „So wie man sich in Deutschland bewegt, haben die sich halt nich bewegt.“

Aber Jan Weicht und seine Kumpels müssen sich so bewegt haben. Denn monatelang störte sich niemand in Trebbin an ihren Sauftouren, Grölereien und Versammlungen vor der Tankstelle, wo am 30. September 1996 die Parole ausgegeben wurde: „Itakerfotzen – macht euch nach Hause.“ Erst nach dem Überfall fanden sich 500 Menschen auf einer Kundgebung gegen Ausländerfeindlichkeit ein. Es gab eine außerordentliche Stadtverordnetenversammlung sowie Gespräche zwischen den lokalen Politikern, der Polizei und der Ausländerbeauftragten des Landes. Es gab ein gemeinsames Essen mit den Italienern im „Chamäleon“. Bürgermeister Georg John richtete ein Spendenkonto für die Opfer ein.

Die in den Zeugenstand zu holen gestaltet sich für die Staatsanwaltschaft schwierig. Orazio Giamblanco, der vor wenigen Wochen aus dem Koma erwacht ist, befindet sich in einer Reha-Klinik in Niedersachsen und ist nicht vernehmungsfähig. Der zweite Überfallene, Guiliano da Luca, läßt durch das italienische Generalkonsulat ausrichten, er wolle weder Deutschland noch die Deutschen wiedersehen. „Ich komme nicht. Ich habe Angst und fühle mich noch immer terrorisiert.“ Aber der dritte ist aus seinem Heimatdorf in der Nähe von Neapel nach Berlin gereist. Giovanni Andreozzi, Eisenflechter, 50 Jahre alt.

Auch er hat sichtlich Angst und bricht zwischendurch in Tränen aus. „Beruhigen Sie sich“, sagt der Richter. „Hier im Gericht sind Sie so sicher wie in Abrahams Schoß.“ Den hat Andreozzi sich vermutlich anders vorgestellt. Links von ihm sitzt Jan Weicht, der sich inzwischen einen halben Millimeter Haarwuchs gegönnt hat und ganz offensiv den Blickkontakt mit seinem Opfer sucht, während Francesco H. seine Augen auf das gegenüberliegende Fenster fixiert. Hinter ihm sind von den drei Zuschauerbänken zwei mit Freunden der Angeklagten besetzt. Junge Gesichter, auf denen die Akne mit ein bißchen Bartflaum und markiger Mimik kaschiert werden soll.

Man nickt und murmelt beifällig, als Weichts Anwalt Hans-Günther Eisenecker, der selbst beste Kontakte zu rechtsextremen Szene hat, seinen Mandanten als Opfer der „Rachsucht einer pöbelhaften Volkswut“ darstellt. „Ick verstehe nich, wovor der Angst hat“, mokiert sich einer, als Andreozzi zu weinen beginnt. „Mann, ich brauch' ein Taschentuch“, kichert ein anderer. Andreozzi ist unterdessen aufgesprungen, hat sich die Jacke über den Kopf gezogen. So, erklärt er der Dolmetscherin, habe er sich bei dem Überfall geduckt und immer wieder gerufen: „Nix verstehen, nix verstehen.“ Die Zuschauer amüsieren sich hörbar.

Erst im Verlauf der Verhandlung stellt sich heraus, daß es an diesem Tag mindestens zwei Überfälle auf italienische Bauarbeiter gegeben hat. Andreozzi war zunächst noch glimpflich davongekommen und hatte seinen blutüberströmten Kollegen zu einer Erste-Hilfe-Station geschleppt. Auf dem Weg in die Unterkunft standen erneut Skinheads vor ihm – darunter möglicherweise auch Weicht. Dieses Mal mußte Andreozzi selbst ins Krankenhaus. Bruch des Nasenbeins und mehrerer Rippen, Verletzungen an der Lunge. Er ist bis heute arbeitsunfähig. Am 22. April, dem vierten Verhandlungstag, plädiert die Staatsanwaltschaft auf eine lebenslange Freiheitsstrafe für Jan Weicht und neun Jahre Haft für Francesco H. Gestern verurteilte das Gericht Weicht zu 15 und H. zu 8 Jahren Haft.

Eigentlich, sagen Cihan Burak und Werner Grubert unisono, aber unabhängig voneinander, wäre es besser, „den Weicht für den Rest seiner Tage arbeiten zu lassen, damit er dem Opfer was zahlen kann“.

Es hat seit September keine weiteren rechtsradikalen Überfälle in Trebbin gegeben. Die Containerunterkünfte der italienischen Bauarbeiter stehen leer. Die Fensterscheiben sind eingeschlagen, das Sperrholzmobiliar durcheinandergeworfen, Kabel baumeln von der Decke. Resultat eines Wutausbruchs der Arbeiter, die nach dem Überfall nach Italien zurückwollten, aber ihre ausstehenden Löhne nicht bekommen hatten. Erst nach der Besetzung des Bauplatzes wurde gezahlt. In der Wohnanlage, die ganz nach dem Vorbild der amerikanischen Suburbia-Idylle entworfen worden ist, sind die ersten Familien eingezogen und machen sich nach Feierabend an ihren abgezirkelten Gärten zu schaffen. Vor den Containern steht, braun und verdörrt, der Richtkranz. „Wissen Sie“, sagt Werner Grubert zum Abschied, „eigentlich isses hier ja ganz ruhig.“

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