Logistik statt Helden

Kurierdienste boomen, doch die Branche ist hart umkämpft, und Pleiten sind auch hier nicht selten  ■ Von Anne Hofmann

Fahrradkuriere, die schnellen Boten auf Rädern, werden als Selbstverständlichkeit hingenommen. Wer erinnert sich denn schon noch daran, daß in Berlin vor 15 Jahren ein Berufsbild Kurierfahrer, geschweige denn Fahrradkurier schlichtweg nicht existierte? Nicht mal die entsprechende Spalte im Branchenverzeichnis war vorhanden. Doch um Sendungen zu befördern, die in kürzestmöglicher Zeit den Berliner Dauerstau passieren sollen, wurde und bleibt das Fahrrad Transportmittel Nummer eins.

Noch immer besteht Nachfrage nach dem wachsenden Angebot. Ergebnissen einer Studie des BAPT (Bundesamt für Post und Telekommunikation) zufolge wird der Bereich der Kurier- und Expreßdienste auch weiterhin florieren. Gerade das Fahrrad gewinnt noch an Bedeutung. Der Studie zufolge erwarten die befragten Firmen „eine Steigerung der Anzahl der Fahrradkuriere von 13 Prozent. Bis zum Jahr 2005 soll dann das Fahrrad das im Verhältnis zu anderen Fahrzeugarten prozentual am stärksten steigende Transportmittel sein“. Thomas März aus der Geschäftsleitung von Express teilt den Optimismus. Für gute Logistik, so meint er, gebe es immer Kunden. Für Express fahren mittlerweile etwa 250 Fahrer, davon circa 50 auf Fahrrädern. Mit Auftragsannahme, Funkvermittlung und Buchführung sind im Büro etwa 40 Festangestellte beschäftigt. Jürgen Goepel aus der Geschäftsleitung von Allkurier spricht für die Tochtergesellschaft Moskitos: Er setzt hohe Erwartungen in den Hauptstadtumzug und neue Bürobauten am Potsdamer Platz; in den nächsten Jahren seien zweistellige Zuwachsraten zu erwarten. Nichtsdestotrotz ändern sich die Einträge in den Gelben Seiten mit jeder neuen Ausgabe.

Kleine Unternehmen beginnen in der Regel mit einem festen Großkunden. Springt dieser ab oder kommt niemand hinzu, könne sich das Unternehmen nicht lange halten, so Goepel. Für Moskitos sind rund 18 Radler und 15 Motorfahrzeuge im täglichen Einsatz. Im Büro sitzen hier sechs feste Mitarbeiter. Die Fahrer sind, wie auch bei Express, selbständige Unternehmer, die beim Senator für Wirtschaft ein Gewerbe anmelden müssen. Die Kurierdienste bieten Mietfunkgeräte an und erheben eine Vermittlungsgebühr für die Jobabwicklung. Vom Umsatz bleiben, über den Daumen gepeilt, dem Fahrer von jeder Mark etwa 60 Pfennig. Dementsprechend variiert das Einkommen. Vom Nebenjob über „Man kann davon leben“ bis zu „Man kann gut davon leben“ ist alles drin. Als Fahrradkurier arbeitet man jedoch in der Regel nicht sehr lange. Nach ein bis zwei Jahren wechseln die meisten – in einen anderen Job oder ein anderes Fahrzeug.

Dauerfahrradfahren ist und bleibt anstrengend, lädierte Knie und Rücken geben davon beredtes Zeugnis. Pit, seit anderthalb Jahren Radlerin für Moskitos (und eine der sehr wenigen weiblichen Fahrradkurierinnen) hat noch einen zweiten Job und fährt nach Möglichkeit nicht länger als sechs Stunden am Tag, um körperlichen Verschleißerscheinungen vorzubeugen. „Gerade anfangs“, so meint sie, „ist das tägliche Fahren sehr anstrengend, mit der Zeit gewöhnt man sich daran, die Kondition kommt automatisch.“ Das Unfallrisiko hingegen hielte sich in Grenzen – durch häufiges Fahren stiegen Erfahrung und Reaktionsschnelligkeit in gefährlichen Situationen, die der Berliner Straßenverkehr schließlich zuhauf bietet. Auch das von der Branche und Presse kreierte Image des „Stadtindianers auf Rädern“ stimme so erst mal nicht. Sicher, „einen gewissen Kurierstolz braucht man wohl irgendwie“, aber in erster Linie sei das ein Job. Möchtegernhelden der Straße, Jungs auf der Suche nach bewundernden Blicken für fesche Waden, knackigen Po und Sonnenbräune halten ihrer Ansicht nach kaum länger als einen Sommer durch. Bleibt die Frage, ob dieses Durchhaltevermögen auch in Zukunft noch gefragt sein wird. Thomas März erwartet entsprechend dem amerikanischen Markt eine Verlagerung des Verkehrs von der Horizontalen (der Flächenstadt) in die Vertikale (Lifts und Treppen in dicht an dicht stehenden Geschäftsgebäuden). Da halten dann die Kuriere ihre Drahtesel vor dem Hauseingang an und stehen nur noch im Lift. Bewegungsmangel, ungesunde Blässe, Gleichgewichtsstörungen – sieht so der Asphaltcowboy von morgen aus?