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Der absolute Herrscher

Johan Cruyff, begnadeter Fußballer, visionärer Trainer und notorischer Sturkopf, wird heute 50 Jahre alt  ■ Von Matti Lieske

Das einzige, was sie schaffen können, ist, gut in Deutschland anzukommen“, schätzte im Frühsommer 1974 ein jugendlicher Amsterdamer bei einem niederländisch-deutschen Fußballtreffen im Vondelpark die Chancen der holländischen Kicker bei der WM in Deutschland ein. Unmittelbar darauf fing er an, von Johan Cruyff zu schwärmen. „Der beste Fußballer aller Zeiten“, ohne Zweifel, leider nur ein bißchen egoistisch und, wie alle niederländischen Fußballstars, ziemlich desinteressiert am Nationalteam. Deshalb: keine Chance bei der WM in Deutschland.

Ganz so kam es dann nicht, dennoch hatte der Vondelpark-Fußballer nicht unrecht gehabt mit seinen Prognosen bezüglich des „komplettesten Fußballspielers“ (Cruyff über Cruyff), dessen Bilanz großer Siege längst nicht an die seines kongenialen Zeitgenossen Franz Beckenbauer heranreicht. In jungen Jahren gewann Cruyff, der heute vor 50 Jahren praktisch in das Stadion von Ajax Amsterdam hineingeboren wurde, drei Europacups der Landesmeister mit Ajax, es folgten eine einzige Meisterschaft und ein Pokal in Spanien. Bei der WM 1974 gab es die Enttäuschung der Endspielniederlage gegen Deutschland, 1976 bei der EM das Halbfinalaus gegen die ČSSR, und 1978 lagen die halben Niederlande einschließlich Bondscoach Ernst Happel vor ihm auf den Knien und beschworen ihn, mit zur WM nach Argentinien zu fahren. Doch der damals 31jährige, der mit grandiosen Leistungen zur Qualifikation des Oranje- Teams beigetragen hatte, befand, daß es genug sei mit dem Fußball, erklärte das Ende seiner Karriere und blieb, wie immer, stur. Wohl niemand bezweifelt, daß die Niederlande mit Cruyff Weltmeister geworden wären. Ein persönliches finanzielles Desaster veranlaßte ihn später doch zum Weitermachen, er spielte eine Weile in den USA und gewann am Ende seiner Karriere an der Seite junger Spieler wie Gullit, Rijkaard und van Basten noch drei Meistertitel mit Ajax und Feyenoord.

In vielen Dingen war und ist Johan Cruyff das genaue Gegenstück zur kaiserlichen Betulichkeit des harmonieverliebten, aber leicht jähzornigen Franz Beckenbauer. Cruyffs Ärger war immer kontrolliert, dafür intensiv und anhaltend. Weltmännisches Auftreten und fußballerische Brillanz gingen stets einher mit Eitelkeit und einem starken Hang zur Kontroverse. Zudem folgt ihm bis heute der Vorwurf der Geldgier. Anders als der bodenständige Beckenbauer, der sein Leben lang in schlummerigen Städten wie München oder Kitzbühel festklebte, tauchte Beatles-Fan Cruyff zufälligerweise immer dort auf, wo gerade was los war. Im unruhigen, haschischgeschwängerten Amsterdam der Provos und Hausbesetzer zog er mit einer Schar langhaariger Kollegen den wohl spektakulärsten Fußball auf, der je gespielt wurde. In Barcelona wurde er zum Symbol des katalanischen Widerstandes gegen den dahinsiechenden Franco. Das 5:0 des FC Barcelona 1974 beim Regierungsklub Real Madrid feierten politische Kommentatoren als „Sieg des Heute gegen das Gestern“, und als 1977 anderthalb Millionen auf den Straßen der katalanischen Hauptstadt die Autonomie forderten, war der FC Barcelona mit einem eigenen Block dabei. Schon zuvor hatte Cruyff seinen Sohn nach dem katalanischen Schutzheiligen Jordi getauft.

In seinem Klub war Cruyff der absolute Herrscher, der sich um die Anweisungen des jeweiligen Trainers wenig scherte. Bei Auswärtsspielen im rauhbeinigen Spanien mied er aus Sorge um seine wertvollen Knochen die Nähe des gegnerischen Tores, und die Halbzeitzigarette ließ er sich schon gar nicht verbieten.

War ein Trainer dumm genug, sich mit dem Meister der wohlgeflochtenen Intrige anzulegen, bekam er, wie Hennes Weisweiler, kurze Zeit später die Papiere. Auch bei der Inthronisation des Vereinspräsidenten Josép Lluis Nunez spielte Cruyff 1978 eine wichtige Rolle, indem er drohte, bei Wahl des sozialistischen Gegenkandidaten Arino, der Weisweiler gegen ihn unterstützt hatte, sofort den Verein zu verlassen. Eine Aktion, die er inzwischen sicher bereut. Mittlerweile pflegt er einen tiefgründigen Haß auf den Barça-Boß.

Auf dem Spielfeld predigte Cruyff im Gegensatz zu Beckenbauer, der immer die Vorsicht in den Mittelpunkt stellte, als Spieler wie als Trainer stets das absolute Risiko. Der Schwerpunkt liegt für ihn in der Offensive. „Die beste Verteidigung ist der Ballbesitz“ und „Der Ball ist schneller als jeder Spieler“ lauten seine wichtigsten Leitsätze, die er, wie er gern zugibt, von Weisweiler gelernt hat. Für sein kompliziertes System mit ständiger Bewegung, kurzen Laufwegen und direktem Paßspiel benötigt er auf jeder Position technisch versierte Akteure mit gutem Spielverständnis, die perfekt aufeinander eingestellt sind.

Logisch, daß für ihn unter diesen Umständen nur große, reiche Klubs in Frage kommen und auch die Nationalmannschaft mit ihren begrenzten Vorbereitungsmöglichkeiten keinen großen Reiz hat. Läuft das System, bringt es großartigen Fußball hervor, ziehen einige Spieler nicht mit, wird es zum Desaster, was Cruyff schließlich seinen Trainerjob in Barcelona kostete.

Bis er einen neuen Verein findet, der seinen Vorstellungen entspricht, kommentiert er, wie Beckenbauer, im Fernsehen die Champions League. Auch ohne seine Sendung gesehen zu haben, darf man davon ausgehen, daß Cruyffs Kommentare einiges mehr an analytischer Schärfe und Pointiertheit enthalten als die seines verbindlichen Widerparts aus den 70er Jahren. Verbindlichkeit nämlich gehörte noch nie zu den hervorstechenden Eigenschaften des Johan Cruyff.

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