: Sieg des Pragmatismus
■ Welche Rolle spielen die Berliner Asten in der Krise der Universitäten? Ein Gespräch mit Günther Jikeli (TU), Rainer Wahls (HU) und Jan Decker (HU)
taz: Haben die Asten die Bodenhaftung verloren?
Günther: Ich glaube nicht. Wenn die Studierenden sich nicht engagieren, dann liegt das daran, daß die Universitäten immer noch nicht demokratisiert sind. Wenn die Profs immer das letzte Wort haben, ist die Motivation zum Engagement nicht leicht zu wecken.
Gilt das auch für die Humboldt-Uni? Dort haben sich die Studierenden ja eine Basisdemokratie erkämpft.
Rainer: Das war vor acht Jahren. Aber die Massenuniversität begrenzt basisdemokratische Ansätze. Der RefRat [studentische Vertretung an der HU; d. Red.] bietet Dienstleistungen und eine Struktur an. Daneben gibt es immer aktionistische „junge Wilde“, was auch völlig in Ordnung ist. Aus Aktionismus entsteht Pragmatismus, und daraus kommen Leute, die in Gremien oder bei den Dienstleistungen mitarbeiten.
Also Realpolitiker und Leute, die sich austoben?
Rainer: Wenn die Mischung zwischen Unruhe und Pragmatismus stimmt, dann funktioniert's. Wenn nicht, entsteht eine Kommunikationsblockade, und es geschieht etwas wie – ich will ja nicht ketzerisch sein – an der FU. Der Vorteil bei uns sind die Ossifizierung und der basisdemokratische Anspruch – deshalb wählen wir auch Personen und keine Listen. Das hat das Konsensprinzip geprägt. Sektenmentalität is' nich'.
Könnt ihr denn euer „politisches Mandat“ noch ausfüllen?
Rainer: Mit unserem „Bündnis gegen Sozialabbau“ haben wir eine stadtpolitische Bündnisstruktur initiiert. Das war ja wohl politisch! Auf Stadtteilebene haben sich dann viele von uns später eingebracht – aber die Leute brauchen wir eigentlich für unsere Mitarbeit. Hochschulpolitik macht natürlich weniger Spaß, als einen Kinderbauernhof aufzubauen.
Die Uni Konstanz sieht laut einer Umfrage nur noch 5 Prozent der Studierenden „voll und ganz“ hinter ihren Asten stehen. 46 Prozent wissen nicht mal, welche Politik der eigene Asta fährt.
Günther: Die autoritären und technokratischen Strukturen innerhalb der Uni nehmen zu. Da verlieren die Studierenden das Interesse an unserer Politik. Selbst Aktive ziehen sich zurück in eigene kleinere Projekte.
Jan: Die Studierenden sind zu Einzelkämpfern geworden. Das Gefühl, sich für jemand anderes einzusetzen und auch Verantwortung zu übernehmen, ist weg.
Das klingt ja sehr resignativ...
Rainer: Ist das resignativ, wenn man sagt, die eigentliche Vermittlung muß auf der Ebene der Fachschaften laufen? Es ist ein Mythos, an die Masse zu glauben, die irgendwann aufsteht, um zur Revolution zu schreiten. Das kann man bei einzelnen Aktionen, aber nicht auf Dauer nutzen. Für mich ist viel wichtiger, die Ebene direkter Kommunikation zu erhalten.
Letzten Sommer habt ihr 25.000 Studierende auf die Straßen bekommen. Hat das zu mehr Zusammenhalt geführt?
Jan: Das waren kurzfristige Emotionen mit Ventileffekt.
Rainer: Ja, und die Fachschaften haben sich wieder verstärkt zusammengerauft. Aber die Entpolitisierung ist ein echtes Problem: Sie führt dazu, daß viele Studis ihren persönlichen Status quo erhalten wollen. Es ist nicht so, daß die Entpolitisierten sich nicht äußern: Die werden zu unserer militanten Gegnerschaft. Das sind keine Leute von der Jungen Union oder rechte Claqueure. Komplett unpolitisch, individualistisch und auf ihr Grundrecht zum Studieren pochend – so sind die. Wir dürfen protestieren – aber wir dürfen sie dabei nicht behindern, sonst sind wir eine existentielle Bedrohung.
Aus der schweigenden wird eine aggressive Masse?
Rainer: Genau. Und diese Masse zieht ganz andere Schlußfolgerungen als wir: Es geht nicht darum, die Dinge zu verändern, denn es ist ja nichts veränderbar. Und deshalb wollen die so schnell wie möglich aus der Uni raus...
Die Studierenden kommen als Kunden ins Proficenter Uni, holen sich ihren Schein ab und sagen dann: „Das war's!“?
Günther: So könnte es laufen. Ich hoffe natürlich, daß die Studierenden sagen, sie wollen keine Ausbildung, sondern Bildung aus der Uni mitnehmen.
Ihr seid doch wieder in den Siebzigern, wenn ihr mehr Mitbestimmung fordert. Welche Themen sind denn aktuell?
Rainer: Die Studierfähigkeit an sich wird das entscheidende Thema. Für uns geht es außerdem bei den Sparvorgaben darum, aufzupassen, daß das Fächerangebot nicht stromlinienförmig wird.
Günther: Auch die soziale Ausgrenzung der Studierenden ist ein wichtiges Thema. Bei den 100 Mark Studiengebühren wird es ja nicht bleiben.
Rainer: Mir sind Projekte innerhalb der Wohnviertel wichtig. Mit der Stadtteil-Umstrukturierung kommt eine Welle der Veränderungen auf uns zu. Ich glaube, daß künftige Proteste von außen in die Uni hineingetragen werden.
Man kann von jungen Intellektuellen erwarten, daß sie von selbst in die Gesellschaft eingreifen.
Rainer: Das ist doch ein Mythos, diese „Intelligenzija“.
Und was macht ihr konkret?
Jan: Wir kümmern uns langfristig um neue Leute und versuchen wieder eine Verbindung zwischen Gremien und Fachschaften zu schaffen. Interview: Dowe, Füller
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