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Kommt eine Möwe geflogen

■ Die Talkshow zum Stück: Stemanns groteskes „TerrorSpiel“

Die Musik spielt auf und schickt der Biertrinkerin einen zynischen Gruß. Und so kommt ein Vogel geflogen und setzt sich zur unseligen Mascha an den Tresen. Und weil Möwen bei Tschechow zum Abknallen für die Heißsporne und Muttersöhnchen unter den Nachwuchsdichtern gedacht sind, wird auch Mascha keine rechte Freude daran finden. Der junge Dramatiker Konstantin, der dann alles Bühnengeschehen für ungültig erklärt, ist der, den die am Leben Knabbernde eigentlich liebt. Doch Konstantin bleibt so hingerissen von dem eigenen theatralen Mitteilungsbedürfnis, und sei es in Form einer folgenlosen TV-Selbstexekution, daß er andere Dramen gar nicht mitbekommt.

So beginnt TerrorSpiel von Nicolas Stemann, mit der Inszenierung einer Inszenierung, die sich selbst immer wieder aufribbelt und mit der schäbigen Wichtigtuerei billigen Fernsehens selbst kommentiert. Tschechows Bühnenpersonal, all die verkehrt Liebenden und hybrid verkorksten Talente aus Die Möwe, verschrauben sich hier zu geklonten Talking Heads in TV-Kästen, denen das eigene Dauerleiden das einzig noch Authentische auf allen Kanälen ist. Auch Schriftsteller Trigorins Eitelkeit läuft in der auf den Kopf gestellten Glotze zur wahren Fratze auf.

Solche Vexierspiele rund um physische Abwesenheit und mediale Präsenz, um Wiederholbarkeit und Ereignis, hat man zwar schon öfter gesehen, und besonders faszinierend bei Wooster Groups Adaption von Drei Schwestern, aber das macht nichts, solange das Diebesgut, wie hier, gut behandelt wird. Deswegen kann Tschechow auch unbeschadet zum Film gehen. Schließlich sind Schriftsteller wie Trigorin die geborenen Killer, also schmeißen sich Nina und Konstantin brachiale Ballermannpoesie herüber, wie es Mellory und Mickey in Oliver Stones Reality-TV-Abrechnung vorbrüllten. Und wo paßt der alles nivellierende, schließlich tödliche Gleichtakt der Langeweile, der schließlich auch die Möwe vom Himmel geschossen hat, besser hin, als in die bunte Welt der sich zu Tode schwätzenden TV-Gesichter? B. Glombitza

26. April, 21 Uhr, Kampnagel, k2

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