Natur pur

Sommerfreizeit im Naturistengelände Thielle: Eine Fotodokumentation  ■ von Michael von Graffenried

Am Schweizer Neuenburger See liegt „die neue zeit“, eines der ältesten Naturistengelände der Welt. Hier verbringen Anhänger der Freikörperkultur ihren Sommerurlaub. „Man findet alles hier, Esoteriker, Anthroposophen, alle alternativen Zeitströmungen machen sich bemerkbar. Vom Arbeiter bis zum Professor kommen alle immer wieder. Viele Mitglieder sind Lehrer, ja auch Pfarrer haben wir wie Sand am Meer“, meint die derzeitige Präsidentin des Lichtbundes, Trudi Merz. Was sie alle verbindet, ist Nacktheit. Den Schweizer Lichtfreunden genügt es allerdings nicht, nackt zu sein. Sie rauchen nicht, trinken keinen Alkohol und essen kein Fleisch. Siebentausend Mitglieder zählt der „Schweizer Lichtbund“. Gegründet wurde er 1924 von dem Buchhändler Eduard Frankhauser. Dieser war von den Ideen des Naturisten-Philosphen Werner Zimmermann entflammt. Zimmermann kämpfte in den dreißiger Jahren für Freigeldwirtschaft, für Vegetarismus, Abstinenz, Naturismus, biologischen Landbau, die Emanzipation der Frau und war 1927 Mitbegründer der schweizerischen Freikörperkultur-Bewegung. Sein Ziel: ein edler und besserer Mensch. „Der leib eines menschen, der sich bewußt oder in sehnsucht nach reinheit ganz der sonne öffnet, ist nicht ausgekleidet, ist nicht eigentlich nackt. Als keuscher reiz liegt natürlichkeit auf jedem seiner glieder, umspielt jede seiner bewegungen. Wer bewusst und voller unbefangenheit in solchem lichtkleid wandelt, der ist mehr gefeit und behütet vor sexueller begehrlichkeit als das pensionatstöchterlein mit seinen tausend heimlichkeiten...“, schreibt Zimmermann. Michael von Graffenried hat in der Naturisten-Anlage die Kleider abgelegt und fotografiert. Er porträtiert die Menschen beim Picknick, Morgenturnen oder im Gespräch. Er zeigt Alltagssituationen und Körper weit weg vom üblichen Jugendlichkeitswahn und Perfektionismus. Graffenried dokumentiert keine Idealkörper, wie sie unser werbeverwöhnter Blick kennt, sondern nackte Vielfalt. Nacktheit wirkt so selbstverständlich und doch seltsam fremd. Herausgekommen sind sensible, manchmal unfreiwillig komische Aufnahmen, jenseits von Voyeurismus und Anzüglichkeit. Bilder, die von nackter Normalität strotzen. ed

Michael von Graffenried: „Nackt im Paradies“, Benteli-Verlags AG, Bern 1997, 69 DM