: Zu Weihnachten ins Rotlichtviertel
■ Immer mehr Frauen aus Osteuropa werden nach Deutschland gelockt. Aber auch Asiatinnen bleiben begehrt
Einen Artikel über das deutsche Weihnachtsfest solle sie verfassen. Die russische Journalistin O. freute sich über diesen Auftrag eines Rußlanddeutschen. Er besorgte ihr ein Visum. Zwei andere Rußlanddeutsche holten die 24jährige nach ihrer Ankunft ab und nahmen ihr unter einem Vorwand den Paß weg. Nach einigen Tagen Aufenthalt eröffneten sie ihr, sie habe nunmehr als Prostitutierte zu arbeiten. Sie bedrohten, mißhandelten und vergewaltigten sie. In einem Nachtklub in Frankfurt am Main mußte sie wöchentlich 2.000 Mark an ihre Zuhälter abliefern. Nach einer abenteuerlichen Flucht zeigte O. die beiden an und sagte als Zeugin gegen sie aus.
Doch vor den deutschen Gesetzen war erst einmal sie die Täterin. Wegen illegalen Aufenthalts und unerlaubter Arbeit als Prostitutierte drohte ihr die Abschiebung. Voller Angst wandte sie sich an „Iskra“ (Der Funke), eine Frankfurter Beratungsstelle für osteuropäische Frauen, die von der „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ (agisra) mitgetragen wird. Die Iskra-Frauen erreichten, daß ihr Visum verlängert wurde. Sie brachten O. in einem Frauenhaus unter – bis zu ihrer Rückkehr.
Die Angst der Politiker vor dem Abschiebeschutz
Wenn zur Prostitution gezwungene ausländische Frauen gegen ihre Peiniger aussagen wollen, stehen sie ohne Schutz da. Ein Verfahren, das bei Frauenhändlern viel Freude erregt: Die Opfer, nicht die Täter werden gestraft. Dabei wäre die Bundesregierung eigentlich verpflichtet, solche Frauen zu schützen. Die Aktionsplattform der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking fordert alle Regierungen auf, „institutionelle Mechanismen“ zu schaffen, „die es Frauen und Mädchen gestattet, gegen sie verübte Gewalthandlungen in einem sicheren und von Vertrauen geprägten Umfeld ohne Angst vor Strafen oder Vergeltungsmaßnahmen zu melden und Anzeige zu erstatten“.
Geschehen ist kaum etwas. Zwar hat Bundesfrauenministerin Claudia Nolte (CDU) vor kurzem einen „Runden Tisch“ zum Thema eingerichtet. Doch schon jetzt befürchten Beobachterinnen, daß das Vorhaben ähnlich enden wird wie die Berliner „Fachkommission Frauenhandel“. Sie wurde vor anderthalb Jahren gegründet, um eine klare Weisung zum Zeuginnenschutz zu erarbeiten, und ist kein Stückchen weit gekommen. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) leistet aus einem kleinlichen Grund erbitterten Widerstand: Bei einer ausländerrechtlichen „Duldung“ hätten die Zeuginnen Anrecht auf Sozialhilfe.
Unter allen Bundesländern noch die beste Regelung hat das rot-grün regierte Nordrhein-Westfallen: Dort erhalten alle von Menschenhandel betroffenen Frauen einen mindestens vierwöchigen Abschiebeschutz. Sie werden beraten und betreut, können über eine mögliche Aussage vor Gericht nachdenken und ihre Ausreise vorbereiten. Ebenso will Niedersachsen demnächst auf Initiative seiner Frauenministerin Christina Bührmann (SPD) verfahren. NRW-Frauenministerin Ilse Ridder-Melchers (SPD) forderte die Bundesregierung auf, sich in Den Haag für stärkeren Opferschutz inklusive Rückkehrprogrammen einzusetzen.
Deutsche Männer – unersättlich?
Das Geschäft mit den Frauen expandiert. ExpertInnen gehen von mindesten 10.000 verschleppten und zur Prostitution gezwungenen Frauen pro Jahr aus, zwischen 80 und 90 Prozent von ihnen stammen aus Osteuropa. Der Handel mit Frauen aus Polen, Tschechien, Rußland und der Ukraine habe „epidemische Ausmaße“ angenommen, schrieb UN-Sonderberichterstatterin Radhika Coomeraswamy vor kurzem in ihrem Bericht an die UN-Menschenrechtskommission. Deutsche Männer scheinen dabei unersättlich. „Wenn auch genaue Zahlen hierzu nicht vorliegen, steht fest, daß die Frauen aus osteuropäischen Ländern die Frauen aus Thailand und den Philippinen nicht vom Markt verdrängt haben“, konstatiert die Fachkommission Frauenhandel.
Frauenhandel beschränke sich heutzutage keineswegs mehr auf Prostitution, schreiben die Expertinnen der „Niederländischen Stiftung zur Bekämpfung des Frauenhandels“ in einer Hintergrundstudie. Hausarbeit und Sexgewerbe seien für viele Migrantinnen die einzigen Bereiche, wo sie noch Arbeit fänden. Von daher sei es auch wichtig, wie der unscharfe Begriff „Menschenhandel“ definiert werde: Konservativen Kreisen gehe es kaum um den Schutz der Frauen, sondern um den Schutz des Staates vor Migrantinnen. Ute Scheub
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