: "Es gibt viele kleine Tony Blairs"
■ Jung, sauber und immer bester Stimmung: Ist Gerhard Schröder oder Joschka Fischer der deutsche Tony Blair? Braucht die Bundesrepublik überhaupt so einen? Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer über Held
taz: Gerhard Schröder hat letztens beim Interview mit der „Zeit“ die neueste Tony-Blair-Biografie auf seinem Schreibtisch ausgebreitet. Wird so heute Politik gemacht?
Thomas Meyer: Schröder will damit sagen, daß er weiß, wie Tony Blair es so weit gebracht hat, und daß er dessen Erfolgsrezepte kennt. Wir sollen damit rechnen, daß auch Schröder das aus dem Hut zaubern könnte, was Tony Blair in Großbritannien vorzumachen scheint.
Schröder hat aber bekannt, daß er keine Zeit hat, das Buch zu lesen, er könne nur darin blättern.
Das ist eine seiner typischen Untertreibungen.
Vielleicht gefällt ihm ja auch nur Tony Blairs Motto: „Was kann falsch daran sein, gewinnen zu wollen?“
Das gefällt ihm zweifellos. Schröder ist gern ein Sieger, und er hat in den letzten Jahren ausreichend bewiesen, daß er weiß, wie man Wahlen in unserer Mediengesellschaft gewinnt.
Warum starren eigentlich alle so auf Tony Blair? Selbst Olaf Henkel, der Chef des Bundesverbandes der deutschen Industrie, gerät bei dem Labour-Chef ins Schwärmen.
Tony Blair ist ein grandioser Medienstar, vor allem ein Fernsehstar. Und in der fernsehbestimmten Gesellschaft sind die Medienstars die prominentesten, am meisten bewunderten und damit auch die machtvollsten gesellschaftlichen und politischen Stars. Tony Blair kam wie Phönix aus der Asche. Die Labour-Partei war rundum in der Defensive, und Blair hat es aus dieser Verliererposition heraus innerhalb weniger Jahre geschafft, ein Star zu werden. Das bewundern auch diejenigen, die mit seiner politischen Philosophie unter Umständen gar nicht so fürchterlich viel am Hut haben. Tony Blair ist ein Held unserer Tage, und mit Helden identifizieren sich alle gern.
Es gibt viele Politiker, die von den Medien geliebt werden. Was genau macht das Geheimnis von Tony Blair aus?
Blair verkörpert den Typ eines Mediencharismatikers. Er ist jung, hat eine saubere Weste, ist immer in bester Stimmung. Er ist nett wie ein Nachbarsjunge, aber gleichzeitig entschlossen in der Abwehr von Gefahr und Bösewichtern; alles, was sich ihm in den Weg stellt, kann er beiseite räumen. Er hat ein Ohr für die kleinen Leute, aber kämpft mit eiserner Faust gegen die ungeliebten Mächtigen. Diese Mischung ist es, die den Medien gefällt. Blair verkörpert Aktivität, er hat eine fast unbegrenzte Handlungsfähigkeit. Seine eigene Partei hat er so domestiziert, daß jeder den Eindruck hat, er allein macht und verkauft Politik.
Es gab Zeiten, da war die deutsche Politik ein Erfolgsmodell für andere Länder. Heute interessieren sich in Deutschland die einen für den amerikanischen Kommunitarismus, und andere, wie Joschka Fischer, suchen einen deutschen Roman Prodi. Hat das Interesse an Blair mit dieser Suche nach einem neuen politischen Modell zu tun?
Das Interesse an Blair hierzulande läßt sich zuallererst mit der Erkenntnis der meisten Politiker und Journalisten erklären, daß Wahlen im wesentlichen über das Mediencharisma des Kandidaten gewonnen werden. Deswegen werden solche charismatischen Typen als die potentiell Mächtigen gesehen. Hier findet eine Amerikanisierung statt. Das spezifisch deutsche Parteienmodell bedeutete ja eigentlich, daß Volksparteien Diskursparteien sind und daß ein großer Teil der Politik von den Mitgliedern selbst erarbeitet, formuliert und in der Umsetzung auch kontrolliert wird. Die Verlagerung des Schwerpunkts auf die reine Medienpräsenz bedeutet eine Marginalisierung und eine Entmachtung der Parteien. Sie sind letztlich nur noch Akklamationskulissen in den großen Wahlkämpfen. Die großen Medien- Bonapartes können schalten und walten, wie sie wollen.
Hat Tony Blair eine Botschaft, oder ist er selbst die Botschaft?
Die Botschaft liegt in Blair selbst — und in seinem Verhältnis zur Partei, aus der er hervorgegangen ist. Das Politische bei ihm wird zum Beiwerk der symbolischen Selbstinszenierung.
Aber er hat ein politisches Programm.
Seine politische Philosophie besteht aus einer sehr einfachen Modernisierungstheorie und einer kommunitaristischen Hoffnung, daß mit Gemeinschaft, Familie und Moral Gerechtigkeit geschaffen wird. Beides bleibt sehr vage, es ist fast nur eine Stimmung. Sein Ansatz ist dennoch nicht uninteressant. Wenn er den Kommunitarismus stärker akzentuiert, könnte er den reinen Liberalismus der gängigen Globalisierungsstrategien ein wenig neutralisieren.
Spielt bei Blairs Erfolgsstrategie die politische Richtung eine Rolle?
Nein, der mediale Effekt ist weitgehend politisch neutral. Das ist das Interessante am Blair-Effekt, zugleich aber auch das Erschreckende. Er basiert allein auf dem persönlichen Mediencharisma in einer unübersichtlichen sozialen und politischen Lage, und er ist nicht auf Blair beschränkt. Es gibt viele kleine Tony Blairs in allen politischen Lagern. Die Formate wechseln, aber der Effekt zeigt sich auch in so unterschiedlichen Figuren wie Guido Westerwelle und Joschka Fischer. In anderen Ländern kann man rechtspopulistische und konservative Varianten beobachten.
Welche Ursachen hat diese universelle Wirkung des Blair-Effekts?
Sie liegen vor allem in der zunehmenden Verschmelzung des politischen Systems und des Mediensystems. Politische Realität jenseits der Medienwirklichkeit wird zur unfaßbaren Größe.
Die dauernde Präsenz im Fernsehen schafft ein Bild von einem Medienhelden, das wirklicher ist als die Wirklichkeit selbst. Ist Blair ein mediales Kunstprodukt?
Blair ist natürlich ein Produkt der Medien, aber er bedient sich auch der Medien. Es ist eine wechselseitige Instrumentalisierung, die allerdings immer nach den Darstellungsgesetzen der Medien erfolgt. Wenn also Politiker den Versuch machen, sich der Medien zu bedienen, dann haben sie sich immer schon den Medienregeln unterworfen.
Die Folge davon ist eine zunehmende Symbolisierung der Politik.
Mehr noch: die symbolische Verkörperung politischer Botschaften in einzelnen Personen. Politiker versuchen immer weniger, politische Strategien zu formulieren, sondern immer mehr, nach den Sekundärregeln der Medien zu funktionieren: Atmosphäre, Aussehen, Überzeugung, Persönlichkeit. Die Verschmelzung von Politik und Medien geht auf Kosten des politischen Systems. Deswegen bin ich auch der Meinung, daß eine sozialdemokratische Partei vom blanken Blair-Effekt allein nicht leben kann. Eine Reformpartei braucht mehr für ihre Legitimation und für einen dauerhaften politischen Erfolg.
Aber Tony Blair gilt als modern. „Labour ist Zukunft“, sagt er, „nicht Verteidigung der Vergangenheit.“ Das kann die SPD nicht gerade von sich behaupten.
Blairs Modernitätsbegriff ist nicht ausreichend. Er enthält mehrere Aspekte: einen moralisch-autoritären, der sich um den Kommunitarismus dreht, sowie einen von Gerechtigkeit. Blair hat den Begriff von der stakeholder society, der Teilhabergesellschaft, geprägt und meint damit, daß die gesellschaftliche Modernisierung um so besser läuft, je mehr Mitglieder dieser Gesellschaft daran auch teilhaben können. Darüber hinaus akzeptiert er ziemlich uneingeschränkt die Realität der Weltmärkte und der Globalisierung. Die deutschen Sozialdemokraten, auch Lafontaine persönlich, haben da mehr zu bieten.
Was?
Die Überzeugung, daß genauso, wie das Wachstum Grenzen hat, wenn wir nicht Natur und Umwelt zerstören wollen, der weltweite Wettbewerb Grenzen haben muß. Ihm müssen politische Grenzen gesetzt werden, wenn wir nicht weltweit die sozialen Systeme, den sozialen Frieden und letztlich die soziale Produktivität zerstören wollen. Das ist ein Verständnis von Modernität, das heute notwendig ist.
Aber davon geht keine Aufbruchstimmung aus. Blair hingegen spricht von einem „Kreuzzug für den Wandel“ und verkörpert einen politischen Neuanfang.
Das will ich gar nicht bestreiten. Zum Verständnis dieses Unterschieds muß man aber wissen, daß die Labour Party vor Blair in hohem Maße traditionalistisch war, programmatisch wie organisatorisch. Der modernistische Nachholbedarf in Großbritannien ist deswegen besonders groß. Daraus resultieren auch die großen medialen Übertreibungen bei Blair, etwa wenn er von einem Kreuzzug spricht. Für eine sozialdemokratische Partei ist es angemessener, in ein paar wichtigen Fragen entschiedene inhaltliche Positionen zu beziehen. Die SPD hat keinen Tony Blair, aber sie vertritt zukunftsfähige, moderne Positionen.
Das bezweifeln viele. Welche meinen Sie denn?
Wir brauchen eine klare soziale Grundsicherung, damit diejenigen, die mit dem Modernisierungstempo nicht mithalten, keine Angst haben müssen, ins Bodenlose zu sinken; eine Arbeitsmarktpolitik, bei der systematische Arbeitszeitverkürzung eine Rolle spielt; eine Ökosteuer; einen politischen Diskurs, der zeigt, daß die Globalisierungsdebatte nur zu zwanzig Prozent politische Realität wiedergibt und zu achtzig Prozent ein großer semantischer Knüppel ist, um das Handeln das Staates zu entlegitimieren und Arbeitnehmerinteressen zu schwächen.
Das ist das eine. Aber wie wird daraus moderne Politik, vor allem eine, mit der die SPD Wahlen gewinnt?
Lafontaine ist nicht Blair, er hat nicht dessen Mediencharisma. Aber es gibt auch andere Wege, die zum Erfolg führen.
Das müssen Sie jetzt sagen, weil die SPD keinen Tony Blair hat.
Nein, weil ich davon überzeugt bin. Die SPD muß sich darauf besinnen, daß sie eine Programmpartei ist. Sie muß in zentralen Streitfragen politische Alternativen präsentieren, die symbolisch anziehend sind. Die Parteispitze mit ein, zwei Galionsfiguren muß über zwei oder drei dieser Schlüsselprojekte abgestimmt kommunizieren. So können auch Wahlen gewonnen werden. Eine starke Minderheit politisch Interessierter, unter ihnen viele Nicht- und Wechselwähler, verlangt politische Argumentationen und keine Medieninszenierungen.
Das klingt nach Verlegenheitslösung.
Die Chancen der SPD wären größer, wenn es einen neuen Willy Brandt gäbe, der Mediencharisma mit politischer Substanz und Visionskraft verbindet. Brandt war auch ein Kommunikationsgenie, doch durch seine große Biografie hatte seine politische Botschaft über alle Effekte hinaus Glaubwürdigkeit. Aber nur weil ein solcher politischer Typ nicht in Sicht ist, kann die Lösung für die SPD nicht der reine Blair-Effekt sein. Interview: Jens König
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