Alle Probleme fangen beim Kollwitzplatz an

■ „Hexentanz“ – der Krimi, der am Kolli beginnt und kein ostdeutsches Klischee ausläßt. Tip für Walpurgisnächtler: Hingehen, anstatt sich mit Goyke langweilen

Vielleicht war es ja so. Der Krimischreiber Frank Goyke spaziert durch Prenzlauer Berg, vorbei am Kollwitzplatz, mitten durch das alljährliche Getümmel. Es ist der Abend des 30. April. Es ist Walpurgisnacht. Ein paar Kids tanzen um ein Holzfeuer, ganz friedlich. Die Bullen, noch ganz friedlich, beäugen aus Nebenstraßen das Geschehen. Dann kommt es zu verbalen Auseinandersetzungen („Scheiß-Bullen“), Wannen setzen sich in Bewegung, aus der Hitze des Feuers wird eine lauwarme Nacht. Es fliegen ein paar Steine, es gibt ein paar Festnahmen. Und morgen, denkt Goyke, geht es weiter. Morgen wird der 1. Mai sein. Wieder werden Antifa-Leute demonstrieren, vielleicht wird es ja noch mal zu Ausschreitungen kommen.

Vielleicht war es so, als Goyke die Idee überkam, diese Nacht, schwarz wie ein Krimi, als Ausgangspunkt für ein Buch zu nehmen. Nun liegt der Kollwitzplatz- Krimi vor, „Hexentanz“ heißt er, und auf dem Klappentext steht: „Das Ende der Straße wurde von einer Bullenkette abgesperrt, und auch am anderen begannen sich die Polizisten zu ordnen. Konstantins Freund Michael bückte sich bereits nach Pflastersteinen. Ein Wasserwerfer raste in die Straße.“

Goyke muß gewußt haben, daß eine Kollwitzplatz-Nacht allein nicht ausreicht, um 245 Seiten zu füllen. Es braucht noch ein paar Probleme. Ostdeutsche Probleme, denn der Kollwitzplatz, wir wissen es, ist ein ostdeutsches Problem. Also schreibt Goyke alle Probleme dieses Ostens klischeemäßig in sein Buch. Kids aus Friedrichshain flüchten aus Perspektivlosigkeit und Frust über die Gesellschaft von heute in Alkohol und Drogen – wohin sonst? – und fallen – wohin sonst? – in die Arme von westdeutschen Pornofilmern. Dazu gibt Goyke das Problem der nie gelittenen DDR-Kubaner. Der eine, Vater von zwei Jungs, reicht seinen Jüngsten an einen Wessi-Verwandten weiter; der darf ihm den Finger in den Po stecken – für Westgroschen natürlich –, damit des Kubaners weiße Frau mal im Intershop einkaufen kann. Aber all das reicht noch nicht. Also wird eine Ost-Mutter dahergeschrieben, die vom Kapitalismus, der ihr übergestülpt wurde, schwatzen darf. Den westdeutschen Kommissar Kölling läßt Goyke entgegnen: „Ihre Landsleute sind für den Kapitalismus auf die Straße gegangen, nun dürfen Sie sich nicht wundern, daß sich der Kapitalismus kapitalistisch gebärt.“

Die Story ist fade. Gut, das wäre bei einem Krimi zu entschuldigen gewesen. Viel schlimmer sind die dümmlichen Sätze, mit der Goyke versucht, Personen zu beschreiben. Etwa: „Eine junge Polizistin, die so häßlich war wie die Viertelstunde nach dem Aufstehen.“ Oder: „Dietrich Kölling hatte vor Urzeiten Geschichte und Philosophie studiert, allerdings nie einen Abschluß gemacht, deshalb war er ja zur Polizei gegangen.“ Ergo: Lieber heute zum Kollwitzplatz gehen als an Goykes Krimi verlangweilen. Jens Rübsam

Frank Goyke: „Hexentanz“. Schwarzkopf und Schwarzkopf, Berlin 1997