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"Thesen treffen eine Stimmung"

■ Rechtsruck oder Meinungsfindungsprozeß in der CDU? Dazu ein Interview mit dem CDU-Abgeordneten Christian Zippel über die umstrittenen Thesen zur Ausländerpolitik

taz: In dem Thesenpapier, das die CDU auf ihrem Parteitag als Arbeitsgrundlage zur Ausländerpolitik angenommen hat, stellt sich die Partei gegen „liberale Abweichungen im Ausländerrecht“, und gegen eine „identitätslose Multikultur“. Ist das die Antwort der CDU auf die Situation der AusländerInnen in der Stadt, auf soziale Spannungen, die vermutlich schon morgen am 1.Mai mal wieder explodieren?

Christian Zippel: Insgesamt ist es zumindest nicht die richtige Antwort. Aber im Papier sind auch viele gute Formulierungen zur Ausländerpolitik enthalten.

Dennoch haben Sie sich sehr deutlich gegen das Papier gewandt. Wie lautet Ihre Kritik?

Mich stören einige unkorrekte Angaben und Formulierungen, die populistisch und vereinfachend sind. Zum Beispiel: „Wir müssen akzeptieren, daß wir auch in Zukunft mit Menschen unterschiedlicher ausländischer Herkunft zusammenleben werden.“ Es geht doch nicht darum, das Zusammenleben mit Ausländern als Gnadenakt anzusehen.

Auf dem Parteitag schien es so, als ob Ihre Kritik die einer kleinen Minderheit sei und dem größeren Teil der Delegierten der Entwurf nicht einmal weit genug ging.

Die Meinungen waren geteilt. Aber die Thesen treffen eine Stimmung, die vorhanden ist. Nun ist die Frage, ob man Stimmungen bedient oder ob man sie aufnimmt. Es ist so, daß bei der Diskussion auf dem Parteitag die Befürworter in der Mehrheit waren. Aber in der CDU besteht eine große Integrations- und Diskussionsbereitschaft.

Welche Rolle spielt der Innensenator bei diesem Streit?

Jörg Schönbohm hat eine Doppelrolle: Als Innensenator, bei dem 70 Prozent der Ausländerfragen über den Schreibtisch gehen, achtet er darauf, daß seine Politik in der CDU mitgetragen wird. Das geschieht auch, denn seine Politik ist nicht gegen Ausländer gerichtet, sondern auf die Durchsetzung des bestehenden Rechts. Zum anderen hat der Senator vielfältige internationale Erfahrungen und Kontakte, so daß er internationale Reaktionen mitbedenkt. Das wirkt moderat und moderierend.

Bewerten Sie die Diskussionen insgesamt als Rechtsentwicklung in der CDU?

Wenn das Papier – so wie es jetzt aussieht – verabschiedet würde, dann würde es einen Rechtsruck innerhalb der Partei bedeuten und bewirken. Heftige Reaktionen und viel Befremden in der Partei wären die Folge. Außerdem könnte der CDU als Hauptstadtpartei schnell Provinzialität angelastet werden. Auch Mißverständnisse und wirtschaftliche Auswirkungen wären zu befürchten. Unter Umständen könnten sich Parteien rechts von der CDU bestärkt fühlen.

Sie sagen, „wenn das Papier so verabschiedet würde“. Wird sich noch eine wesentliche Veränderung ergeben?

Die Kontroverse auf dem Parteitag hat gezeigt, daß die CDU keine homogene Partei ist. Aus der Parteispitze wurde schon signalisiert, daß die Thesen überarbeitet werden, wie es auch der Beschlußlage des Parteitags entspricht. Sie werden sehen, am Schluß sieht es sicher anders aus. Interview: Barbara Junge

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