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Vor dem Untergang der Konservativen

Die britischen Wahlen sind erst morgen, aber die Tories räumen schon das Feld: Im Londoner Wahlkreis Putney bläst die Referendumspartei zum innerkonservativen Krieg  ■ Aus London Dominic Johnson

Es dauert eine Weile, bevor Sir James Goldsmith merkt, daß sein Mikrophon nicht funktioniert. Nach Zurufen aus dem Publikum wechselt er vom Stehpult an den Tisch und fährt mit seiner Rede fort. Schade eigentlich. In diesen ersten zehn Minuten war im großen Saal des Rathauses von Wandsworth eine heimelige Atmosphäre eingekehrt. Hinter seiner Hornbrille verborgen, hatte der milliardenschwere Führer der Referendumspartei, die für eine Volksabstimmung zur britischen EU-Mitgliedschaft eintritt, in seinem letzten öffentlichen Auftritt des Wahlkampfes leise Töne angeschlagen. Keine Tiraden gegen Helmut Kohl, keine populistischen Phrasen, sondern lange Sätze, die an den Verstand der Zuhörer appellieren. Goldsmith zitiert und analysiert die neuesten Konversionen britischer Politiker zum Euroskeptizismus. Die 400 Zuhörer aus allen Altersschichten und Ethnien sind mucksmäuschenstill.

Mit Mikrophon ist Goldsmith zu laut. Aber die Botschaft bleibt die gleiche: Die Politiker haben das Volk verraten, denn sie haben ihre Macht an Brüssel abgetreten. Also müssen die Bürger sich ihre Rechte zurückholen. „Je mehr Stimmen wir haben, desto mehr Druck können wir auf die nächste Regierung ausüben“, sagt Goldsmith. Und nach diesem Argument des Kalküls folgt das der Revanche: „Die Konservative Partei ist die Partei der Nation oder sie ist nichts. Diese konservative Regierung hat die Nation und das demokratische Prinzip verraten, und sie wird bestraft werden. Diese konservative Partei wird am 1. Mai untergehen.“

Die Referendumspartei ist eine Privatgründung des Geschäftsmannes Goldsmith, der bereits 1994 bei den französischen Europawahlen antrat und strikt gegen die politische Einigung Europas ist. Sie tritt in 547 der 659 britischen Wahlkreise an und liegt in Umfragen bei zwei bis vier Prozent – zuwenig, um Sitze zu gewinnen, aber zuviel für etliche um ihr Mandat bangende Tories. Goldsmith führt einen innerkonservativen Krieg.

Er selbst kandidiert im Wahlkreis Putney, Teil des Südwestlondoner Bezirkes Wandsworth. Den Sitz hält der Tory David Mellor, lange Regierungsmitglied und einer der Architekten der britischen Zustimmung zu den Maastrichter Verträgen, bevor er 1992 wegen Sexskandalen zurücktrat. Heute behauptet er in Flugblättern, er sei „schon immer“ gegen die Währungsunion gewesen.

Einen richtigen Wahlkampf führt Mellor nicht. An einem verregneten Mittag sind in der zentralen Einkaufsstraße von Putney alle Parteien versammelt — außer die Tories. Bill Jamieson, Wirtschaftsredakteur des Sunday Telegraph und Kandidat der kleinen UK Independence Party, die für den britischen Austritt aus der EU steht, zieht mit seinem Gurkenwägelchen und einer EU-Direktive über krumme Gurken umher. Vor dem Bahnhof steht Labour-Kandidat Tony Colman unter einem bunten Regenschirm. „Ich bin zuversichtlich, daß ich gewinne“, sagt er. Europa ist für ihn kein Thema, „denn die Positionen von Labour und Konservativen sind identisch“. Hoffentlich hört Blair das nicht.

Während Goldsmith im Rathaus doziert, diskutieren die anderen Kandidaten in einer Hochschule am Stadtrand mit Studenten. „Nicht alles an der EU ist schlecht“, antwortet Colman auf eine kritische Frage zu Europa. Am besten kommt der Liberaldemokrat an. Der junge Staatsanwalt Russell Payne fühlt sich pudelwohl in der neuen Rolle seiner Partei, der dritten politischen Kraft Großbritanniens: gegenüber New Labour linke Opposition spielen. Payne fordert lautstark Steuererhöhungen für Reiche und grinst, wenn Colman sich in Abwehr windet. „Die Wahl langweilt die Leute“, trifft der Liberale die Stimmung. „Labour bietet nur eine negative Vision: Wir sind nicht die Tories, bitte wählt uns.“ Er kriegt am Schluß den größten Applaus. „Die Liberalen“, sagt ein Student, „haben den besten Kandidaten, aber ihre Partei ist ein Witz.“ Wahrscheinlich wird er Labour wählen. Auf Goldsmith hat man verzichtet, da der Konservative Mellor sich weigert, mit ihm gemeinsam aufzutreten. Aber Mellor ist auch nicht aufgetaucht. Als Vertreter der Rechten bleibt nur Bill Jamieson, der Gurkenkönig. Der Wahlkampf ist noch nicht vorbei, aber die Tories räumen schon das Feld.

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