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Ottensen 2020: Alle sind vollbeschäftigt

■ Keine(r) hat mehr eine bezahlte Stelle, trotzdem arbeitet jede(r) – eine Vision

Hamburg Ottensen im Jahre 2020. Rund 85 Prozent der Bevölkerung sind erwerbslos. Das Wort Lohnarbeit klingt für die meisten antiquiert. Nur einer von hundert Jugendlichen kennt bezahlte Arbeit aus eigener Erfahrung. Und immer weitere Firmen brechen zusammen. Doch jedesmal, wenn das Gerücht von einem erneuten Konkurs die Runde macht, zieht noch in der gleichen Nacht die Ottenser Besetzer-Gruppe los und nimmt das Gebäude in Beschlag.

Auf diese Art sind bereits zahllose Stadtteilprojekte und kleinere Betriebe entstanden. Und alle sind miteinander vernetzt: Frisches Gemüse und Biofleisch beziehen die Ottenser BürgerInnen aus dem Wendland, die Kleidung stammt vom NäherInnen-Kollektiv, das in den ehemaligen Produktionshallen eines Pharmaunternehmens residiert, Altonas Bautrupp renoviert Häuser und Wohnungen, baut aus und um.

Geld spielt dabei kaum noch eine Rolle. Es wird direkt getauscht: die Fahrradreparatur gegen Obst, ein Haarschnitt gegen neue Jeans, ein Tisch gegen einige Stunden Babysitting. Wer keine Waren oder Dienstleistungen zum Tausch bieten kann, arbeitet mit, jobbt einige Tage bei den Schlossern oder im Bioladen, betreut oder pflegt alte und kranke Menschen, arbeitet in einer der Stadtteil-Kitas mit. Arbeit gibt es zur Genüge, bloß eben keine Lohnarbeit mehr.

Nur eine spinnerte Vision? Nicht für Armin Bellendorf (43). Der Altenpfleger und gelernte Schlosser ist davon überzeugt, daß es über kurz oder lang „zum Zusammenbruch des Kapitalismus kommen muß“: Millionen Menschen sind derzeit in Deutschland erwerbslos. Auch ein Wirtschaftsaufschwung wird mit spürbarem Stellenabbau verbunden sein. Parallel dazu sind immer mehr Menschen auf staatliche Almosen angewiesen.

„Die meisten Menschen haben doch dauerhaft keine Perspektive mehr, überhaupt noch in die Lohnarbeit hineinzukommen“, sagt auch Hilmar Kunath. Zusammen mit Bellendorf und anderen Menschen aus Ottensen sucht der 47jährige Lehrer deshalb nach Alternativen. „Arbeitskreis Lokale Ökonomie Ottensen“nennt sich ihr Zusammenschluß: Hier werden theoretische Konzepte diskutiert, und hier werden auch die ersten Vernetzungen mit anderen Projekten im Stadtteil erprobt. Karin Flothmann

Der AK Lokale Ökonomie Ottensen trifft sich das nächste Mal am 14. Mai um 19 Uhr in der Motte, Rothestr. 50, 2. Stock. Weitere Infos über Anna Kreikemeyer,

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