: Ein kurzer, schroffer Abschied von Europa
■ Irans geistlicher Führer will das Land auf die islamische Revolution festlegen
Äußerlich entspannt saß der alte Mann auf einem thronartigen Stuhl auf großer, leerer Bühne. Seine Stimme war ruhig, seine Argumentation von verächtlichen Gesten begleitet. Doch was Irans geistlicher Führer Ali Chamenei aus Anlaß des Arbeiter- und Lehrertages vor einigen hundert Arbeitern und Lehrern sagte, hatte es in sich: Europäische Staatsmänner und der Westen ganz allgemein seien „von Haß geprägt, rachsüchtig, schäbig, altklug, stur, unverschämt, unhöflich, Kriminelle und Verbrecher“. Danach, wieder mit einer wegwerfenden Handbewegung: „Wir sollten den deutschen Botschafter für einige Zeit nicht zurückkommen lassen. Wir sollten es nicht eilig haben. Laßt uns warten und sehen, was in unserem Interesse liegt.“
Chamenei ist nicht für große Worte bekannt. Innerhalb der iranischen Führung gilt der von seiner Stellung her mächtigste Mann im Staat als Sturzkonservativer, dessen Reden für ihre Monotonie berüchtigt sind. Doch am letzten Mittwoch enthüllte er ungewohnt demagogische Fähigkeiten.
Was ist los in der Islamischen Republik? Verabschiedet sich der Staat von Europa, jener Macht, die er bisher stets gegen die US-Amerikaner auszuspielen versuchte? Westliche Beobachter in Teheran sind verblüfft bis erstaunt über den neuen, schroffen Ton. Hatte doch noch nach dem Mykonos-Urteil Irans Staatspräsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani von einem „Donnerschlag“ gesprochen, nach dem wieder der „blaue Himmel“ sichtbar werden würde. Nun sieht alles nach einem Dauertief aus.
In Teheran sei eben Wahlkampf, argumentierten noch vor wenigen Tagen Iran-Experten. Bevor Ende Mai ein neuer Präsident feststeht, könne es sich kein iranischer Politiker leisten, als „prowestlich“ dazustehen. Gerade in Zeiten der politischen Veränderung – wie dem Wechsel eines Staatspräsidenten – versuchen die herrschenden Kleriker, das Volk auf die Ideale der Islamischen Revolution einzuschwören.
Wie schwer es in solchen Situationen die wenigen tolerierten Abweichler haben, erfuhr der als liberal geltende Kandidat Mohammad Chatemi, als er in der vergangenen Woche in der ostiranischen Stadt Maschhad eine Wahlkampfveranstaltung abhalten wollte: Anhänger der Ansar-e Hisbollah verhinderten seinen Auftritt. Die berüchtigten Schlägertrupps zählen zur Hausmacht Chameneis, eines innigen Gegners von Chatemi.
Der hohe Favorit für die Rafsandschani-Nachfolge, Parlamentspräsident Ali Akbar Nateq Nuri, gilt dagegen als Mann des religiösen Führers – aber auch als Garant für weitere, zumindest wirtschaftliche Kontakte in den Westen. Nach seinem Amtsantritt könnte er die jetzt ausgeladenen Diplomaten mit einer großen Geste der Versöhnung wieder einladen. Thomas Dreger
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