: Die Wahl der Überraschungen
Er hatte nur kandidiert, weil Labour in allen Wahlkreisen Kandidaten aufstellen wollte. Doch plötzlich ist Stephen Twigg Unterhausabgeordneter: die größte Sensation dieser Wahl. Sein Opfer ist Verteidigungsminister Michael Portillo, der als aussichtsreichster Bewerber für die Major-Nachfolge galt. Niemand hatte das im Wahlkreis Enfield Southgate erwartet. Twigg ist Sekretär der Fabian Society, des rechten Labour- Thinktanks.
Exeter ist ein weiterer Wahlkreis, den die Tories an Labour abtreten mußten. Ben Bradshaw, der neue Abgeordnete, bedankte sich artig für den fairen Wahlkampf, nahm Adrian Rogers von den Tories jedoch ausdrücklich davon aus. Der hatte ständig abfällig darauf hingewiesen, daß Bradshaw schwul ist – eine Tatsache, aus der der Ex-Guardian-Reporter nie ein Geheimnis gemacht hatte.
Im neuen Parlament wird ein parteiloser Abgeordneter sitzen: Martin Bell kam in Tatton überraschend zu einem Mandat. Noch vor wenigen Wochen hatte er als BBC-Reporter – stets im weißen Anzug – über Politik berichtet. Als ans Licht kam, daß sich verschiedene Tory- Abgeordnete von Lobbygruppen dafür bezahlen ließen, Anfragen im Parlament zu stellen, zogen Labour und Liberale ihre Kandidaten zurück, damit Bell mit einer Antikorruptionskampagne
Der Mann im weißen Anzug: Martin Bell Foto: rtr
die größte Tory-Hochburg im Norden Englands einnehmen konnte. Bell gewann mit 1.000 Stimmen mehr als Gegenkandidat Hamilton, der bei den letzten Wahlen noch 22.000 Stimmen Vorsprung hatte. „Ihr habt eine Fackel entzündet“, sagte Bell nach der Wahl, „die die Mutter aller Parlamente erleuchten wird.“
Der Multimillionär Mohamad Sarwar von der Labour Party ist der erste muslimische Abgeordnete. Sarwar mußte sich erst parteiintern gegen Mike Watson durchsetzen, dessen Wahlkreis im Zuge von Grenzveränderungen verschwunden ist, dann mußte er sich gegen eine Verleumdungskampagne wehren, die angeblich von indischen Regierungskreisen gesteuert wurde, und schließlich war da noch die 26jährige Nicola Sturgeon von der Schottischen Nationalen Partei, die sich nur knapp geschlagen gab. Ralf Sotscheck, Glasgow
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