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Volkstribun Tony Blair

■ Wie lange reicht der Atem von New Labour?

Die herkömmlichen Links-rechts- Kategorien des europäischen Parteiensystems geraten in Großbritannien durcheinander. Mindestens 418 von 659 Sitzen gehen an die Regierungspartei. Das ist ein richtig großer Sieg. So konnte Blair am Morgen nach seinem Wahlerfolg jubeln: „Labour ist die Partei des ganzen Volkes.“ Nichts hat er so oft betont wie den Wunsch, die seiner Meinung nach gespaltene britische Gesellschaft zu vereinen und dadurch Großbritannien wieder zu einer starken, internationalen Macht zu machen.

An diesem Punkt ähnelt Tony Blair durchaus Helmut Kohl, der das Thema Vereinigung für sich innen- wie außenpolitisch zu nutzen verstand. Blair will die Politik seines Landes genauso dauerhaft und umfassend prägen, wie es der Bundeskanzler tut, um so einen herausragenden Einfluß in Europa auszuüben.

So leicht, wie das angesichts der Zahlen erscheinen mag, ist das aber nicht. Als erste britische Regierung seit den 30er Jahren wird sich das Kabinett Blair im Unterhaus einer rechten und einer linken Opposition gegenübersehen. Denn neben den Konservativen sitzt auf der Oppositionsbank die stärkste liberale Parlamentsfraktion seit Menschengedenken. Während von den Konservativen voraussichtlich rechtspopulistische Angriffe gegen Staatsausgaben und Verständigungen mit der EU zu erwarten sind, werden die Liberaldemokraten darauf drängen, daß radikale Teile der Labour-Programmatik wie Verfassungsreform, öffentliche Investitionen und Umbau des Sozialstaates nicht auf dem Altar der haushaltspolitischen Opportunitäten geopfert werden. Das Selbstbild Labours als Zentrumspartei wird sich im Widerstand gegen linken und rechten Populismus verfestigen – aber der Eindruck, daß es neben Labour keine wählbare Partei in Großbritannien mehr gibt, möglicherweise auch.

New Labour könnte theoretisch ganz lange an der Macht bleiben. Zunächst kann sich nur die Partei selbst das noch verderben. Vertraut man historischen Erfahrungen britischer Labour-Regierungen, von denen keine mehr als sechs Jahre gewährt hat, ist sie dazu in der Lage. Blair hat sein höchstes Ziel erreicht – aber auch der schönste Wahlsieg beweist nicht, daß aus dem perfekten Oppositionsführer auch der perfekte Premierminister wird. Dominic Johnson

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