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■ Von New Labour ist wenig Gutes zu erwarten. Denn Tory-Politik machen noch immer am besten die ToriesWarum Blair eine Enttäuschung wird

Na schön, die Labour Party wird Großbritannien für die nächsten fünf Jahre regieren. Ein Grund zur Freude? No. Denn Tony Blair symbolisiert die historische Niederlage der Linken. Er ist der wandelnde Beweis, daß Phantasie und Gespür für Alternativen bei den Linken abgedankt haben. Viele Zeitungen, auch die taz, haben in den vergangenen Jahren von der Sozialdemokratisierung der Labour Party geschrieben. Ein Irrtum: Blair ist viel weiter gegangen.

Man muß sich noch mal den Wahlkampf vor Augen führen: Die Tories, von Bestechungsskandalen und Flügelstreitigkeiten zerrüttet, bestimmten dennoch die Tagesordnung. Kaum hatte Major warnend den Finger gehoben und das Wort „Gewerkschaft“ erwähnt, da versicherte Blair eifrig, daß Großbritannien unter New Labour die restriktivsten Gewerkschaftsgesetze der westlichen Welt haben werde; Major prophezeite den Zerfall des Vereinigten Königreiches unter Labour, und Blair nahm sogleich dem ohnehin recht machtlosen schottischen Parlament die Steuerhoheit weg, noch bevor es überhaupt spruchreif ist; Major munkelte, unter Labour sei es mit dem Aufschwung vorbei, prompt legte Blair die Privatisierungspläne vor, an die nicht mal die Tories gedacht haben.

Blair ist ein Feigling, ein Schönwetterpolitiker, der es allen recht machen will und Konfrontationen scheut. Sein Ruf als radikaler Reformer rührt vom Umgang mit der eigenen Partei, in seinen politischen Vorstellungen ist er aber zutiefst konservativ. Die einzigen Feinde, die er sich gemacht hat, sind Old Labour und die Gewerkschaften. Aber es ist ein zahnloser Löwe, mit dem sich Blair anlegt: Die Macht der Gewerkschaften hat Margaret Thatcher längst gebrochen. 1979, als sie Premierministerin wurde, waren weit mehr als die Hälfte der britischen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert, heute ist es nicht mal ein Drittel. 1979 gingen 29 Millionen Arbeitstage durch Streik verloren, heute ist es weniger als eine halbe Million. Ein Viertel der britischen Arbeitnehmer bekommt unter vier Pfund die Stunde – Billiglohnland Großbritannien.

Natürlich war die Labour Party dringend reformbedürftig, als Blairs Vorgänger John Smith nach den Wahlen vor fünf Jahren an die Parteispitze kam. Sie war immer noch reformbedürftig, als Blair zwei Jahre später Smith' Nachfolge antrat. Mit der alten Labour Party ließ sich kein Blumentopf gewinnen. Aber Blairs Vorstellungskraft reicht nicht über das Weltbild der Tories hinaus. Deren Vermächtnis gilt für ihn als unantastbar.

Dabei wäre gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Neuanfang, denn das Großbritannien, das die Tories hinterlassen haben, steckt in einer Identitätskrise. Die drei Säulen, auf denen das britische Selbstverständnis beruht, sind in den vergangenen 18 Jahren zerbröselt: Protestantismus, konstitutionelle Monarchie und das British Empire. Die anglikanische Kirche, deren Oberhaupt die Königin ist, ist nicht mehr länger die größte Kirche Großbritanniens. Mit zwei Millionen Mitgliedern ist die katholische Kirche um 300.000 größer. Die Monarchie schlittert von einem „annus horribilis“ in den nächsten. Und das Empire, das 1944 noch 760 Millionen Menschen in den Kolonien umfaßte, wird am 1. Juli, wenn Hongkong an China zurückgegeben wird, nicht mal mehr 170.000 Menschen umfassen, wenn man Nordirland nicht hinzurechnet. Der Politikwissenschaftler David Marquand schrieb: „Britannien war immer das imperialistische Britannien. Die Ikonographie, die Mythen, die Rituale, in die das Britischsein eingebettet war, waren imperialistisch, ozeanisch, außereuropäisch. Das Weltreich war der Grund für die Briten, britisch zu sein – und nicht englisch, schottisch oder walisisch. Ohne das Weltreich, in Europa hineingeworfen, hat Britannien keine Bedeutung mehr.“

Aber auch die traditionellen Tory-Werte sind abgebröckelt. Familie? Ein Viertel aller Eltern sind alleinerziehend, Großbritannien hat die höchste Scheidungsrate in der EU. Militärmacht? Nach dem Ende des Kalten Krieges mußten die Tories den Rüstungshaushalt um 12 Milliarden Pfund kürzen. Law and order? Die Verbrechensrate ist seit 1979 um 50 Prozent gestiegen, die Zahl der Gefangenen von 42.000 auf 60.000. Sicher kann man das alles nicht allein der Tory- Politik anlasten. Aber der politische Kolumnist Fintan O'Toole hat recht, wenn er schreibt: „Die vergangenen 18 Jahre haben den Widerspruch gezeigt zwischen dem Wunsch einerseits, die Rolle des Staates auf ein Minimum zu reduzieren, und dem Wunsch andererseits nach einem starken und autoritären Staat.“ Man kann eben nicht, wie die Tories, alles den Marktkräften überlassen und gleichzeitig vorbildliches Sozialverhalten erwarten.

John Majors Maxime von „One Nation“, also einer vereinten Nation, ist leeres Gerede. Gerade seine Politik hat dafür gesorgt, daß sich der Abstand zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd vergrößert hat. Als die Tories 1979 an die Macht kamen, besaßen fünf Prozent der Bevölkerung 45 Prozent der Reichtümer. Heute sind es 51 Prozent. Und im britischen Norden liegt das Durchschnittseinkommen bei wöchentlich 255 Pfund. Im Süden, in London, sind es mehr als 450 Pfund.

Blair wird diese Politik nach eigener Aussage fortführen. Gordon Brown, der neue Schatzkanzler, hat sich davor gehütet, anzukündigen, daß sich die Kluft zwischen Arm und Reich nun verringern wird. Zum ersten Mal ist Labour von dem Prinzip abgerückt, durch eine progressive Steuerpolitik wenigstens den gröbsten Auswüchsen bei der Verteilung des Kuchens entgegenzusteuern. Schlimmer noch: Er will die Steuer- und Ausgabenpolitik der Tories komplett übernehmen. Wozu also Labour?

Manche Kommentatoren haben Blair geraten, umstrittene Entscheidungen so früh wie möglich durchzudrücken, das würden die zerstrittenen Tories gar nicht merken. Thatcher habe das 1979, als die Labour Party mehr oder weniger implodiert war, genauso gehandhabt. Aber solche Entscheidungen stehen bei Blair ja gar nicht an. Gefahr droht ihm von ganz anderer Seite: Seine Flitterwochen werden schneller vorbei sein, als er denkt. Wenn die neue Privatisierungsrunde ansteht, wird ihm sein Stellvertreter John Prescott zum ersten Mal vors Schienbein treten. Von da ab kann es eigentlich nur bergab gehen. Tony Blair handelt, als ob er sich das Land von den Tories nur geliehen hat und es in ihrem Sinne pflegen will, bis er es ihnen in fünf Jahren wieder zurückgeben muß. Tory-Politik aber können die Tories besser betreiben. Ralf Sotscheck

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