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Graues Raffaello

■ Zurück aus der Männerpension: Auch Marie Bäumer kann den Thriller "Kalte Küsse" nicht retten (Do., 20.15 Uhr, RTL)

Nichts ist, wie es scheint und nichts scheint, wie es ist ... Was ist gut, was ist böse? Die übliche Schwarz-Weiß-Farbenmischung weicht einem undurchsichtigen Grauton...

Ein solches Kleinod begnadeter Pressetextprosa sollte der Öffentlichkeit nicht vorenthalten bleiben – erst recht nicht, wenn der beschriebene Film von durchaus ebenbürtiger Qualität ist. Doch wo nichts ist, wie es scheint und nichts scheint, wie es ist, ist es schwer zu entscheiden, ob die Schauspieler nur deshalb wie beim Sprechtraining artikulieren, damit man bei der miesen Tonqualität überhaupt noch etwas versteht, oder der Ton nur deshalb so miserabel ist, damit sich der Zuschauer darauf konzentriert, überhaupt etwas zu verstehen, anstatt zu fragen, was. Andererseits sind die Dialoge möglicherweise nur deshalb so unsäglich, damit man übersieht, daß dem Drehbuch in Ermangelung etwaiger Logik die Lösung des verschlungenen Kriminalfalls nur per weiblicher Intuition gelingt. Wahrscheinlich aber ist das Drehbuch nur deshalb so nullachtfünfzehn, damit man nicht merkt, daß sich „Abwärts“-Regisseur Carl Schenkel keinerlei Mühe gegeben hat, Story und Figuren wenigstens halbwegs schlüssig in Szene zu setzen. In so einer Welt, die sich nach ihren ganz eigenen Werten bestimmt, mag es denn auch kaum verwundern, daß man sich ab und an schon in der nächsten Werbepause wähnt, weil eine Gartenparty-Szene dem „Raffaello“-Spot zum Verwechseln ähnlich sieht.

Doch was ist gut, was ist böse? Die Hamburger High-Society beispielsweise ist böse, Kindesmißbrauch auch, und Kindesmißbrauch in der Hamburger High- Society erst recht. Aber, zu behaupten, Marie Bäumer sei in der Rolle der Jungkommissarin Stein nicht nur total fehlbesetzt, sondern augenscheinlich wieder da angekommen, wo ihre Fernsehkarriere 1993 mit einem Gastauftritt im ZDF-Serienflop „W.P. Anders, Jugendgerichtshelfer“ begann... – ist das auch böse?

Was aber ist dann gut? Daß wir schon viel zu viele lausige Eigenproduktionen über uns ergehen ließen, um uns über Stumpfsinn noch aufzuregen? Nein, gut ist, daß der undurchsichtige Grauton dieser grauenhaften McJob-Produktion pünktlich um 22.20 Uhr wieder der üblichen Schwarz-Weiß- Farbenmischerei auf den Mattscheiben wird weichen müssen. Christoph Schultheis

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