: Schlaghosen und Tollen
■ Die Konzerte des Sommers im Stadtpark mit Reunions, Geburtstagen, Country-Knitterfalten und Spaßtyrannen Von Volker Marquardt
Schaut man aus dem Fenster, so mag man dem Optimismus der Schnecke nicht so recht glauben. Kommt sie doch auf dem Faltblatt des Konzertveranstalters Karsten Jahnke mit Sonnenbrille bewehrt aus ihrem Häuschen, um in die Gitarrensaiten zu greifen. Statt am real existierenden Sommer muß man sich noch bis auf weiteres an musikalischen Ersatzstoffen erfreuen. Davon gibt es ja reichlich. Etwa die springenden Fische aus „Summertime“, wahlweise von Louis Armstrong oder Jazzy Jeff & the Fresh Prince, oder „Summer In The City“für den sonnigen Städter in der Version von Lovin' Spoonful oder Joe Cocker. Doch optimistische Menschen gehen davon aus, daß man auch dieses Jahr das Original noch zu spüren bekommt. Und dann sind auch die Konzerte im Stadtpark nicht weit.
In diesem Jahr wird die Stadtparksaison in weiser Voraussicht erst Anfang Juni von Dieter Thomas Kuhn eröffnet. Bei zwei Auftritten (7., 8. Juni) wird die „singende Dauerwelle“auf der großen Bühne keine Schlagerpeinlichkeit auslassen. Der „Papst des schlechten Geschmacks“, wie Kuhn gerne genannt wird, hat sich für seine „Gold-Tour“extra in einen goldfarbenen Glitzeranzug geworfen.
Ebenso verkleidet mutet die nächste Veranstaltung an. Unter dem dezent ironischen Titel „Chickeria“werden hier Angestellte der Medienbranche (u. a. Springer & Jacobi, Premiere) auf der Bühne abgestellt, um ihre Sangeskunst vorzuführen (15. Juni). Nachdem die Kreativlinge der Republik 1996 noch gegeneinander Fußball gespielt haben, drängt es sie nun zur Kontaktbörse, bei der jeder für 15 Minuten ein Star sein kann. Vielleicht hat sich Andy Warhol doch etwas anderes darunter vorgestellt?
Mit Torfrock (21. Juni), Simple Minds (22. Juni) und den Leningrad Cowboys, die zusammen mit dem Chor der Roten Armee ihre Tollen präsentieren (30. Juni), kommen alte Bekannte in das Heckenrund. Wie sich danach die ausgeklügelten, allerdings für Clubs gedachten TripHop-Schichten von Massive Attack und Moloko bei Tageslicht und im Grünen ausnehmen werden, bleibt abzuwarten (2. Juli).
Der „Summer Jam“– dieses Mal bestritten von Bobs Sohnemann Ziggy Marley, dem Roots & Culture von Luciano und Olodums salvadorianischen Trommeln –findet hingegen gewiß die passende Umgebung im Stadtpark (4. Juli). Mit Herb Alpert (12. Juli) kommt nicht nur einer der erfolgreichsten Instrumentalmusiker, sondern auch der Mitbegründer der Plattenfirma A&M, um seine unterkühlten Gefühle an der Trompete darzustellen.
Nach neunjähriger Abstinenz werden daraufhin Earth, Wind & Fire wieder im Chor die Elemente des Funk&Soul der 70er Jahre beschwören (17. Juli). Dazu haben sie ihre Schlaghosen ausgemottet und werden wohl ein Best-of-Programm um „Let's Groove“zusammenstellen.
Darauf folgen zwei Geburtstagstourneen. So bescherte Jethro Tull der Popwelt vor 26 Jahren ihre legendäre Platte Aqualung (21. Juli), und der Star Club feiert mit Little Richard, Chuck Berry und Jerry Lee Lewis schon ein knappes Dezennium mehr (27. Juli), bevor die Country-Knitterfalte Johnny Cash ihren späten Ruhm in Europa mit einem weiteren Konzert bekräftigt (30. Juli)
Den Abschluß der Sommersaison bestreitet Helge Schneider, dessen Konzert (17. August) allein, um den Namen seiner Begleitband zu überprüfen, Pflicht für alle Spaßtyrannen ist. Diese heißt nämlich: „Die alten Wurstgesichter mit den unterlaufenen Augen und den unter den Achseln kneifenden, zu engen Jacken“. Danach kann es ruhig wieder zurück ins Schneckenhaus gehen.
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