Press-Schlag: Human im Fußtritt
■ Die Liga und ihre Autoritätsschulung
Bundesligafußball ist die Schule des autoritären Charakters. Die „Typen“ (Werner Hansch), die für Außergewöhnliches sorgen, sind eigentlich Sklaven und sollen sich geben wie Olaf Thon, der zur Halbzeit ausgewechselt wurde, beim Torwandschießen später total versagte und dennoch immer nett zwischen seinen Werbeflächenhemdkragen lächelte. Klinsmann dagegen verhielt sich „unprofessionell“. Klinsi, seit Wochen, Monaten oder Jahren erfolglos; erfolglos auch diesmal. Im Ansatz eigentlich hervorragend, nur eben nicht drin. Statt dessen vorbei: drübergehoppelt, nicht ohne Anmut. Kann mal passieren, passiert immer öfter. Schwarz ist die Serie. Eine Viertelstunde vor Spielende das Aus, die Auswechslung, wie so häufig schon. Ein Amateur kam für den Kapitän der Nationalmannschaft.
Möglicherweise zog in diesem Moment im Kopf des Spielers sein Leben vorbei. Ausgewechselt, erniedrigt vor Millionen und Abermillionen. Paralysiert wie ein Zombie wankte Klinsmann vom Platz. Andere hätten sich in solchen Momenten erschossen. Bei ihm jedoch regte sich Unprofessionelles: Rebellion. Die mißhandelte Seele begehrte auf. Unwirsche Gesten folgten. Das Fußtrittloch im Batteriewerbeträger wird zum schönen Bild fürs Fernsehen. Ein „Ausraster“ (ZDF), eine tolle Szene: Männer am Scheideweg. Vorausgegangen war ein ungehaltenes Streitgespräch zwischen Trainer und Klinsmann, das angeblich keiner verstand, weil es in italienisch geführt worden war. Später wollten die Beteiligten leider nicht erzählen, was sie sich an den Kopf geworfen hatten. Einerseits kann man es sich natürlich denken, andererseits würde man es gerne wissen. Wozu guckt man sich denn sonst ständig diesen Werbescheiß an und sichert so hunderttausend Arbeitsplätze? Und daß es dem Fernsehen nicht gelingt, die Schimpfreden der beiden zu übersetzen, ist unwahrscheinlich. Medien – Verbrecher allesamt.
Für Sekunden nur blitzte das Humane auf. Dann war es wieder weg. Klinsmann entschuldigte sich, denn er „möchte noch die Meisterschale in den Händen halten. Danach trennen sich unsere Wege.“ Auch im letzten Spiel wird er ausgewechselt werden. Uli Hoeneß, dessen Karriere ähnlich herzlos beendet wurde, zeigte Verständnis für die Sekunden der Rebellion. Lorant hat dank Nicotinell Spieler und auch sich selber im Griff. Und Basler bleibt der einzige, der halbwegs normal der Entmündigung widerspricht. Nachdem er das Spiel so simpel wie richtig analysiert hatte – „Wenn wir die Chancen genutzt hätten, hätten wir gewonnen“ – antwortete „El Loco“ dem Reportertrottel, der was anderes hören wollte: „Ich sag' Ihnen alles. Sprechen Sie's mir vor. Ich sag's ihnen nach.“ Detlef Kuhlbrodt
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