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„Wir sind gefährlich provinziell“

Was Wirtschaftsminister Wolfgang Clement daraus lernt, daß in China überall Großflughäfen gebaut werden, während sich SPD und Grüne in Düsseldorf um 300 Meter Landebahn streiten  ■ Aus Nanjing Walter Jakobs

Wenn Walter Mennekes mit Journalisten redet, dann gibt es gewöhnlich immer etwas zu lachen. Doch an diesem Abend kommen dem mittelständischen Unternehmer in der Hotelbar eines Luxushotels in der chinesischen Provinzhauptstadt Nanjing keine Anekdoten über die Lippen. Mennekes ist „stinksauer“. Verantwortlich dafür ist eine am Düsseldorfer Schreibtisch entstandene Meldung der Bild-Zeitung, die Mennekes per Fax erreicht. Darin wird dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) vorgeworfen, seine Tour durch China sei eine Art Lustreise. Die paar Termine in China erledige er in Düsseldorf ansonsten an einem Vormittag. Der knorrige Sauerländer Mennekes traut seinen Augen nicht. „Unglaublich unanständig“ sei das, „scheiß Journalisten“. Wo doch Clement eine Woche lang von Termin zu Termin hetzt, um, so Mennekes, „uns hier Türen zu öffnen“.

Mit der SPD haben die meisten der siebzig mitreisenden Unternehmer gewiß nichts am Hut, aber auf den Düsseldorfer Wirtschaftsminister lassen sie nichts kommen. „Sie wissen alle“, sagt Peter Jochums, ein Bergbauzulieferer aus dem bergischen Sprockhövel, bei einem Treffen mit seinen Kollegen, „ich wähle ihn nicht, aber wir haben allen Grund, uns bei ihm zu bedanken.“

Daß Clement bei seinen Gesprächen mit den Chinesen jede Gelegenheit nutzt, um sie ins Geschäft zu bringen, rechnen sie ihm dabei ebenso hoch an wie seine immer wiederkehrende Botschaft in Richtung Heimat: „Wir müssen vieles bei uns verändern und auf breiter Front besser werden, um auf den Weltmärkten zu bestehen.“ Ansonsten, davon gibt sich der potentielle Rau-Nachfolger zur Freude der Unternehmer überzeugt, sei angesichts der verschärften Globalisierung „unser hohes Einkommensniveau nicht zu halten“.

Dabei spielt China mit seinen über 1,2 Milliarden Menschen und einem jährlich um rund 10 Prozent wachsenden Sozialprodukt für Clement eine Schlüsselrolle, denn „in nicht allzu langer Zeit wird China sich zum wichtigsten Markt der Welt entwickeln“. Als wenige Tage später der deutsche Botschafter in Peking, Konrad Seitz, bei den Unternehmern für verstärkte Investitionen in China wirbt, weil die „Wettbewerbsfähigkeit der Großunternehmen sich im 21. Jahrhundert auf dem chinesischen Markt entscheidet“, stimmt Clement uneingeschränkt zu: „Wir müssen endlich begreifen, wie hier die Post abgeht.“ Letztlich ist es die Furcht, die deutschen Unternehmen könnten bei diesem Rennen abgehängt werden, die ihn umtreibt.

Walter Mennekes muß er nicht mehr überzeugen. Der Produzent von Industriesteckverbindungen, der weltweit rund 100 Millionen Mark umsetzt und 360 Leute beschäftigt, hat schon 1994 seine Fühler ins Reich der Mitte ausgestreckt. Zusammen mit der chinesischen Telekom gründete er ein Joint-venture. Seit April 1996 läuft die Produktion mit 70 Mitarbeitern in Nanjing, der Provinzhauptstadt der nordrhein-westfälischen Partnerprovinz Jiangsu. Noch wirft der Laden trotz der in China gängigen niedrigen Bruttolöhne von etwa 2 Mark pro Stunde zwar keinen Gewinn ab, aber Mennekes hofft, schon bald die Produktion erweitern zu können.

Geht das nicht zu Lasten der Jobs in Deutschland? „Nein, im Gegenteil“, lautet seine Antwort, denn durch die Produktion in Nanjing, die zu 90 Prozent in China verkauft wird, „mache ich gleichzeitig Arbeitsplätze in Deutschland sicherer, denn an fünf Arbeitsplätzen hier hängt einer in Deutschland.“

Mit Workshops und Symposien versucht die Düsseldorfer Regierung, besonders den mittelständigen Unternehmen beim großen Sprung nach China zu helfen. Das Interesse ist groß. Allein in Nanjing nahmen rund 200 Vertreter aus chinesischen Betrieben daran teil. Während die chinesische Regierung den geplanten Besuch einer holländischen Delegation soeben scheitern ließ, sind die Deutschen willkommen. Auch Clement profitiert von dem weichen Kurs der Bonner Regierung gegenüber den Menschenrechtsverletzungen in China.

Dabei agiert der Düsseldorfer Genosse kaum anders als Kohl und Kinkel. Von Resolutionen in Europa in Sachen Menschenrechte hält auch er „nicht viel“. Wie der Bundeskanzler und sein Außenminister setzt auch Clement auf „Wandel durch Handel“ und darauf, daß der „marktwirtschaftliche Prozeß in China zu Veränderungen aller Lebensbereiche“ führt. Eine diplomatische Formel, mit der die chinesischen Gesprächspartner gut leben können. „Deren sehr positive Haltung uns gegenüber“, so sein Plädoyer in Peking, „sollten wir nutzen“. Weil die „internationalen Mitbewerber“ den chinesischen Markt „früher erschlossen“ hätten, seien die deutschen Unternehmen jetzt gefordert, sich verstärkt nach außen zu orientieren und „rasch aufzuholen“.

Weite Teile der deutschen Gesellschaft – eingeschlossen seine eigene Partei – hält Clement ohnehin für gefährlich „provinziell“, viel zu sehr „auf sich selbst bedacht“. Während SPD-Parteichef Oskar Lafontaine die ganze Standortdebatte in Deutschland als „neoliberales Geschwätz“ abzutun sucht, sieht Clement auch auf diesem Feld, wie Lafontaine-Konkurrent Gerhard Schröder, „massiven Handlungsbedarf“. Sein ganzes politisches Handeln, auch seine kompromißlose Härte gegenüber dem grünen Koalitionspartner, erklärt sich aus dieser Einschätzung. Während in Düsseldorf zwischen Grünen und SPD ein Streit um die Verlängerung der dortigen Flughafenlandebahn um 300 Meter tobt, stößt er bei seiner Reise auf Chinesen, die überall neue Großflughäfen bauen. In Peking und Hongkong ebenso wie in der Partnerstadt Nanjing. Da erscheinen ihm die Düsseldorfer Diskussionen nur noch „absurd“.

Im scharfen Kontrast zu den nordrhein-westfälischen Grünen, die die Drosselung und Verteilung des Düsseldorfer Flugverkehrs anstreben, verfolgt Clement das Ziel, die „Wachstumschancen“ auch auf diesem Feld zu ergreifen. Wenn die Bündnisgrünen diesem Kurs nicht folgen, ist eben Schluß. Koalitionäre Rücksichten sind von ihm beim Flugverkehr ebensowenig zu erwarten wie bei dem umstrittenen Braunkohletagebau Garzweiler II.

In China ist es in diesen Tagen deutlicher als zuvor geworden: Am Rhein liegen Neuwahlen in der Luft.

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