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Bundesbaustellen als Druckmittel

■ Gewerkschaftsfunktionäre sind im Unterschied zu vielen Bauarbeitern vom Erfolg eines möglichen Streiks überzeugt

„Die Kollegen haben so einen Bart“, sagt Gewerkschaftssekretär Achim Klemke und markiert mit der Hand Bauchhöhe. „Wird der Schlichterspruch abgelehnt“, so der Funktionär im IG-B.A.U.- Container am Potsdamer Platz weiter, „sind die Kollegen der Meinung, jetzt brauchen wir keinen Frieden mehr zu halten.“

Nachdem am Wochenende der Landesverband den Schiedsspruch im Tarifstreit der Branche abgelehnt und sich gestern auch die Große Tarifkommission entschieden dagegen ausgesprochen hat, stehen die Zeichen auf Streik. Der umstrittenste Punkt ist die Regelung zur Lohnfortzahlung, wonach kranke Bauarbeiter in den ersten drei Wochen nur 80 Prozent ihres Lohns erhalten sollen.

Gewerkschaftssekretär Klemke ist vom Erfolg eines Streiks überzeugt, weil in Berlin „an allen Ecken und Kanten“ gebaut wird. „Wir wissen, wo wir anpacken sollen.“ Auch nach Ansicht von Wolfgang Selle, Landessekretär der IG B.A.U. Berlin-Brandenburg, bieten sich die Bundesbaustellen, ähnlich wie das ICC beim Streik 1978, geradezu als „Druckmittel“ an. Selle geht davon aus, daß sich auch ein Großteil der ausländischen Arbeitnehmer mit den deutschen Kollegen solidarisieren würde: „Wir haben gute Kontakte zu den portugiesischen, spanischen und französischen Gewerkschaften.“ Weitaus schwieriger sei es dagegen bei den ehemaligen Ostblockstaaten. IG-B.A.U.-Chef Klaus Wiesenhügel hat gestern gewarnt, daß die Gewerkschaft gegen Streikbrecher nicht zimperlich vorgehen werde.

Während die Funktionäre einen Streik heraufziehen sehen, ist die Meinung unter den Bauarbeitern sehr geteilt. „Das bringt doch nichts“, winkt ein 49jähriger Polier auf der Adlon-Baustelle ab. Die Gewerkschaft habe zu lange „gepennt“. Weniger Lohn für die ersten drei Krankheitswochen findet er in Ordnung. Nur wer länger krank sei, könne wirklich nicht arbeiten. Ein Gerüstbauer am Reichstag findet zwar „alles Scheiße“. Doch an den Erfolg eines Streiks glaubt auch er nicht. Resigniert zieht er sein Resümee: „Ich bin im Osten schon beschissen worden. Auch jetzt gibt es mehr Arbeit und weniger Geld.“ Ein 34jähriger Isolierer von der Adlon- Baustelle dagegen ist überzeugt, daß „Streik das einzige Mittel“ ist. Das sieht ein 53jähriger Arbeiter von der Baustelle an den Dorotheenblöcken ähnlich: „Der Schlichterspruch ist nur ein Verscheißern der Bauarbeiter.“ Zu einem Streik sei er „jederzeit“ bereit.

Auch wenn viele Bauarbeiter am liebsten sofort die Schippe hinwerfen würden, müssen sie bis zum Mittwoch kommender Woche warten. Dann endet die zweiwöchige Friedenspflicht ab dem Tag des Schlichterspruchs. Danach, so Landessekretär Selle, könnten die Vorbereitungen für einen Streik „innerhalb einer Woche“ über die Bühne gehen. Der letzte regionale Streik fand 1984 statt, als Berliner Bauarbeiter sechs Wochen lang erfolgreich gegen Akkordarbeitszeit streikten. Barbara Bollwahn

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