: Auslaufmodell Wohngemeinschaft
■ WG-Zimmer stehen leer, kleine Wohnungen im Trend
Ein Blick in Berliner Stadtmagazine und Tageszeitungen genügt: Zimmer in Wohngemeinschaften gibt es mittlerweile mehr als genug. Doch sie sind nicht mehr so leicht zu vermieten wie noch vor ein paar Jahren. WG-Anzeigen sind zu kleinen Werbeflächen geworden. Selbst das „Wohnen im Grünen“, die „Nähe zum Waldsee“, der „eigene Faxanschluß“, „18 Minuten zum Zoo“, „super Verkehrsanbindung“ oder die freistehende Bulthaupt-Küche, mit denen viele WGs schon fast professionell für sich werben, scheinen Wohnungssuchende kaum zu locken.
Sind WGs wirklich out, eine reine Generationenfrage? Oder ein anarchistisches Wohnkonzept, das mittlerweile hoffnungslos unzeitgemäß ist und gleich mit ein paar anderen Utopien über Bord geworfen wird?
„Auf einem Zimmer für 450 Mark“, erklärt Ulrich, „bleibst du selbst am Semesteranfang sitzen.“ Mit 35 Jahren noch Leute in seinem Alter zu finden sei sowieso schwierig. „Ist doch ziemlich wahrscheinlich, daß dann die Familie kommt“, analysiert er die Situation vieler AltersgenossInnen.
Für die Mitwohnzentralen sind die freistehenden WG-Zimmer keine Frage des Alters. „Es kommen laufend WG-Angebote rein“, sagt Daniela Lüßgen von der Mitwohnzentrale Freiraum, „aber es gibt weniger Leute, die suchen.“ Schwer zu finden seien allerdings Zimmer unter 400 Mark, und hier sei die Nachfrage besonders hoch. Außerdem ist da noch die veränderte Situation auf dem Wohnungsmarkt zu berücksichtigen, gibt eine ihrer Kolleginnen zu bedenken. Die Mieten für Einzimmerwohnungen seien gesunken. Leute auf WG-Suche „haben heutzutage falsche Vorstellungen“, glaubt sie. „WG-Zimmer sind eben kein billiges Wohnen mehr für 200 Mark.“
„Der Trend“, sagt auch Ingrid, „geht doch zur Einzimmerwohnung.“ Sie versucht schon eine ganze Weile eine Mitbewohnerin für ihr WG-Zimmer in FU-Nähe zu finden. Die WG-Müdigkeit habe auch viel mit dem Trend zur Vereinsamung zu tun, auch damit, sich nicht mehr auseinandersetzen und sein eigenes Ding machen zu wollen. „In 'ner WG gibt's doch tausend Berührungspunkte. Was eher läuft, sind WGs mit einem politischen Hintergrund“, erzählt sie. „Und auch Schwulen- und Lesben- WGs kommen nie ganz aus der Mode, weil die sich aus ganz anderen Gründen zusammentun.“
Für Marlies, die gerade ihre letzte Wohngemeinschaft aufgelöst hat, ist die WG-Flaute eigentlich gar nicht so außergewöhnlich. „Die Studis heute ziehen schneller Schlußstriche und sind mit 24 aus ihrer letzten WG raus.“ In ihrem Unikurs sitzen sogar zwei Studenten, die noch zu Hause wohnen. „Die Leute müssen eben ihr Geld zusammenhalten.“ Und eine Wohngemeinschaft – das sei mittlerweile etwas ganz Kurzfristiges. „Da zieht Hinz ein und Kunz aus.“ Isabel Richter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen