Die schwierige Situation der Unis für Experimente nutzen

■ Die „Experimentierklausel“ demokratisch füllen, wurde auf einer bündnisgrünen Anhörung zur Unipolitik gefordert

Es war der Abend von Leuten wie Magda David. Die honorige Dame, seit den Siebzigern an der Freien Universität, wird in der Uni despektierlich als „sonstige Mitarbeiterin“ bezeichnet. „Seit wir kein Stimmrecht mehr haben, können wir niemanden mehr für die Gremienarbeit begeistern“, kommentierte die Mittfünfzigerin die Machtverhältnisse in den Hochschulen. Das Verfassungsgericht sicherte den Professoren 1973 in jedem Selbstverwaltungsorgan der Uni die absolute Mehrheit über alle anderen Statusgruppen – seitdem grassiert unter AssistentInnen, StudentInnen und den „Sonstigen“ die politische Apathie.

Sekretärin David berichtete im Abgeordnetenhaus bei einer Anhörung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen über die sogenannte Experimentierklausel. Die steht neu im Berliner Hochschulgesetz. Die Klausel erlaubt den Hochschulen, siebzig Paragraphen des Gesetzes zu mißachten und neuartige Leitungsstrukturen auszuprobieren. Kann man so vielleicht auch das 73er Urteil umgehen? Kommt drauf an, wie man die Experimentierklausel füllt. „Und wir müssen sie demokratisch füllen“, sagte Carsten von Wissel, Studiensekretär an der TU, „denn die anderen machen es nicht in diesem Sinn.“

Die „anderen“ sind jene, die in der Uni die Macht haben: Kultusbürokraten und Professoren. Früher, erinnerte sich Magda David, habe sie die Professoren mit auswählen können: „Man kann sich fragen, ob das fachlich Sinn macht. Aber ob jemand als Lehrer Erstsemester begeistern kann, das sehe auch ich als Sekretärin.“ Mit Magda David stießen etliche andere DiskutantInnen ins revolutionäre Horn. Dabei ging es doch nur darum, ob man über die Experimentierklausel den Fachbereich als „lernende Organisation“ neu erfinden könne.

Kann man. Der Kanzler der TU, Ulrich Podewils, griff überraschend einen Vorschlag auf, der in der Uni an der Straße des 17. Juni in der Diskussion war: Auflösung der Fachbereiche, also der gegliederten Wissenschaftsdisziplinen; Schaffung einer Matrixstruktur, die es ermöglicht, interdisziplinäre Studiengänge und Forschungsbereiche jenseits bornierter Fächergrenzen zu schaffen. Anfang der neunziger Jahre scheiterte der avantgardistische Vorschlag an den Professoren.

Anselm Lange, hochschulpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, setzte auf „konsequente Dezentralisierung“. Er will die Unis vom Staat abkoppeln und mehr Zuständigkeit für die Fächer.

Skepsis schlug dem jungen Hochschulpolitiker Lange entgegen. Denn der Staat wird die Unis nicht in Ruhe lassen. Das zeigen die Reaktionen auf das erste angemeldete Experiment. Hans Mayer, Präsident der Humboldt-Uni, schlug ein neues, sehr freies Kuratorium vor. Sein Konzept ist dem Vernehmen nach in der Wissenschaftsverwaltung auf brüske Ablehnung gestoßen. Peter Radunskis Kultusbürokraten merkten nämlich, daß ihnen sämtlicher Einfluß verlorengeht.

Aber auch die Dezentralisierung von Entscheidungen an die Fachbereiche macht Mühe. Wer garantiert, fragte Kanzler Podewils, daß die Uni hinterher nicht eine Ansammlung autonomer Schools ist? Die Antwort gab der Unternehmensberater Gerd Kullmann, der üblicherweise mit Industrieunternehmen zu tun hat. „Jede Organisation braucht gemeinsame Ziele, sonst fliegt der Laden auseinander.“ Und genau daran mangelt es der Universität. „Es besteht überhaupt kein Verständnis davon, daß man eine Organisation mit einem gemeinsamen Leitbild ist“, klagte Bernd Fick, ein TU-Studiensekretär.

Erste vielversprechende Ansätze gibt es aber offenbar schon. Kleine Hochschulen wie die Karlshorster FH für Technik und Wirtschaft arbeiten bereits mit sogenannten Zielvereinbarungen. Das sind vertragliche Vereinbarungen zwischen der Leitung der Hochschule und den Fachbereichen. Geregelt wird dabei, welche Fächer mit wieviel Studierenden anzubieten sind – unter dem ideellen Leitbild der Uni.

Die Fachbereiche müßten dafür an Professionalität gewinnen. Die jedoch sei nicht durch „Einführung formaler Demokratie“ zu schaffen, also formal gleiche Stimmrechte für alle Statusgruppen, meinte Studiensekretär Fick. Vielmehr müßten Moderatoren her, professionelle Beraterstäbe für den Fachbereichsleiter. Sekretärin Magda David wußte wohl, was gemeint war. Trotzdem beharrte sie darauf: „Solange das Karlsruher Urteil von 73 steht, wird das nichts.“ Christian Füller