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Arschkarten oder: Väter sind Killer! Von Karl Wegmann

Willy erzählt vom Karpfen-Massensterben im zentralchinesischen See Moshui, aber keiner hört richtig zu. „500 Tonnen krepierte Karpfen“, brabbelt er, „kilometerweiter Gestank nach totem Fisch.“ Mecki hat den ganzen Abend nicht viel gesagt, dafür aber ein Glas Rotwein nach dem anderen gekippt. Plötzlich hebt sie den Kopf und faucht: „Väter sind Schweine!“ Dabei wirft sie giftige Blicke in die kleine Runde und wartet auf Widerspruch.

Alle überlegen, wo sie einen Zusammenhang zwischen den toten Karpfen und Vätern gefunden hat. „Nee, nee“, wagt sich Willy schließlich vor, „das waren die Industrieabwässer...“ „Das interessiert mich doch überhaupt nicht!“ bellt Mecki zurück. Und dann berichtet sie uns von ihrem Martyrium. „Fußball“, sagt Mecki, „immer nur Fußball. Bundesliga, Uefa-Cup, Champions League, dieser ganz Scheiß. Andauernd hocken Bernhard und die Jungs vor der Glotze und ziehen sich diesen Mist rein. Schon morgens beim Frühstück reden die nur über Fußball. Jetzt interessieren sie sich sogar noch für die englische und italienische Liga.“ „Moment mal“, antwortet ihr Mann, „sei doch froh, daß ich mich soviel mit den Kids beschäftige! Außerdem hab' ich's auch nicht leicht, die beiden sind nämlich Bayern-Fans.“ „Bayern, Schalke – ist doch dasselbe“, meint Mecki. Die Augenbrauen der Männer am Tisch gehen hoch. „Oder Kino“, macht Mecki unbeirrt weiter, „ich will 'ne Komödie sehen, aber wir landen immer in so einem albernen Actionfilm.“ „Sorry“, sagt Bernhard, „aber wir stimmen doch vorher immer ab.“ „Jajaja!“ brüllt Mecki. „Aber Demokratie ist Unterdrückung von Minderheiten, und ich hab's satt, immer die Scheißminderheit zu sein. Bei Musik hab ich auch die Arschkarte. Neulich summe ich ein Bonnie-Tyler-Lied aus dem Radio mit, und Alex – mein Gott der ist erst zwölf – meint zu mir: ,Mensch, Mama, hör dir doch nicht immer diesen Mainstreammüll an!‘ Meine eigenen Söhne lachen über mich, nur weil ich nicht Beck, Cake, Pavement oder wie sie alle heißen höre, die du ihnen dauernd vorspielst.“ „Gute Musik“, gibt Bernhard etwas lahm zurück, und die Männer am Tisch nicken. Danach herrscht kurz eine bedrohliche Stille. Niemand möchte eine Eskalation. Alle sind mit Bedauern beschäftigt. Mecki und Bernhard bedauern sich jeweils selbst. Die Frauen bedauern Mecki und die Männer Bernhard. Der hatte schließlich jahrelang davon geschwärmt, wie sehr er sich darauf freue, daß seine Jungs endlich groß würden und er mit ihnen über Fußball reden könnte. Willy versucht schließlich die Situation aufzulockern. „Väter sind auch Killer“, sagt er völlig ernst. Alle schauen ihn verblüfft an. „Doch, doch“, sagt er, „als eine extreme Form der Vater- Kind-Interaktion ist der Kindermord durch erwachsene männliche Tiere der gleichen Art anzusehen. Zum Beispiel bei Hyänen und Löwen.“ „Aber nicht bei Primaten“, wirft Hermann ein. „O doch“, antwortet Willy, „bei Languren, Schimpansen und Berggorillas.“ „Stimmt“, sagt Moni, „Dian Fossey hat sehr genau ...“

Und schon stecken wir in der schönsten Diskussion über reproduktive Strategien im Tierreich. Nur Mecki gießt sich noch ein Glas Rotwein ein und murmelt: „Arschkarte, ich hab' schon wieder die Arschkarte gezogen.“

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