Bier und Body-Flying

■ Open-Air-Konzert „Rock over Germany“ begeistert die müden Massen nicht / Regen, hohe Getränkepreise und doofe Leute Von Heike Haarhoff

Schon die Züge nach Lüneburg waren am Samstag mittag leerer als erwartet. Die „Massen“, die – so die Hoffnung des Konzert-Veranstalters – „die Heidestadt zu Deutschlands Rock-Mekka“ machen sollten, pilgerten statt zum NDR-Open-Air-Konzert „Rock over Germany“ eher in die entgegengesetzte Richtung: zum Kirchentag nach Hamburg oder vor den Fernseher in die nächste Kneipe, um dort das entscheidende Fußballwochenende zu verbringen.

Daß statt der erwarteten 90 000 nur knapp 40 000 Leute zwischen zwei und 60 Jahren kamen, um sich zwei Tage lang von den Klängen der „internationalen Rock-Elite“ beschallen zu lassen, schadete der Stimmung wenig. Die stellte sich nämlich gar nicht erst ein, sondern tauchte zusammen mit dem guten Wetter verspätet am Sonntag auf.

Zum Konzertbeginn am Samstag mittag mit Inga Rumpf, der Mannheimer Soul-Band Six Was Nine und dem Kölner Wolfgang Niedecken erstmal Schauer. Plastikfolien werden ausgerollt, Regenjacken übergezogen, Schirme versperren die Sicht auf die Bühne. „Und dafür 100 Mark Eintritt“, stöhnt einer und packt die regenbetropfte Brille in die Jackentasche. Immerhin hat er es geschafft, sich in die vorderen Reihen durchzuboxen. So kann er außer Lautsprechern, NDR-, Getränke- und Zigarettenwerbung tatsächlich noch dann und wann seine „Stars“ erblicken. Wer sich nicht quetschen lassen möchte, kann nur erahnen, was auf der Bühne abgeht. Den BesucherInnen im Rollstuhl ist selbst diese Wahl nicht vergönnt: In weitester Entfernung wurde ein viel zu niedriges Podest für sie errichtet.

Ärger auch am Eingang: Eigene Getränke dürfen nicht mit rein. Schließlich hat der Veranstalter vorgesorgt – 0,33-Pappbecher Wasser und Bier gibt's zu „Spottpreisen“ von vier bzw. 4,50 Mark. Aber wir haben's ja. Gesoffen wird bis zum Umkippen, gepinkelt direkt im Anschluß. Die Becher fliegen achtlos auf die Konzert-Wiese.

Überhaupt sind alle unheimlich und aufdringlich cool. Dazu gehört auch, sich wenigstens einmal im „Body-Flying“ erprobt zu haben: Im Schutzanzug und mit Sicherheitshelm läßt sich Rolf aus Aachen vom Luftstrom eines Gas-Propellers wie Super-Mann durch die Luft wirbeln: „Geil.“ Fünf Minuten fünfzig Mark. Die Leute stehen Schlange. Status Quo, Elton John, Dream Theater, Extreme und all die anderen Musiker werden zur Nebensache.

Sonntagabend dann die Rettung: Joe Cocker. Die Leute singen mit, klatschen, feiern. Die Langeweile ist weg. Als einer der wenigen darf Cocker Zugaben singen. Das Spektakel erinnert endlich – wenn schon nicht an ein Rock-Mekka – an ein Konzert.