piwik no script img

„Es gibt hier nicht den großen Zampano“

■ Der Tegeler Anstaltsleiter Klaus Lange-Lehngut zu den Strukturen des internen Drogenhandels: „Der Konsum ist weitaus geringer, als die Gefangenen behaupten“

taz: Wird der Drogenhandel in Tegel von einer Mafia beherrscht?

Lange-Lehngut: Es gibt hier nicht den großen Zampano, der die Strippen zieht, sondern viele kleine Händler, die mit dem Handel überwiegend ihren eigenen Konsum finanzieren.

Wie groß ist der wöchentliche Heroinkonsum in der Anstalt?

Ich weiß es nicht. Wir wissen doch noch nicht mal genau, wie viele Abhängige es hier drinnen gibt. Aber der Drogenkonsum ist weitaus geringer, als behauptet wird. Es sind Kleinstmengen in der Größenordnung von Gramm und Milligramm. 1996 haben wir 78 Strafanzeigen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erstattet, davon 71mal wegen des Auffindens von Heroin. Die Gefangenen behaupten immer wieder, es sei mehr da. Sie wollen damit belegen, daß die Institution unfähig ist, etwas gegen die Einbringung zu tun.

Auf was für Wegen kommt der Stoff in den Knast?

Zum einen durch vom Urlaub zurückkehrende Gefangene; meist im Darm. In einem Kinderüberraschungsei, das als Darmcontainer umfunktioniert wird, kann man für unsere Verhältnisse ganz beachtliche Mengen, bis zu 10 Gramm Heroin, transportieren. Eingebracht wird der Stoff nicht von süchtigen Gefangenen, sondern von Insassen, die bei Mitgefangenen Schulden gemacht haben und diese so abzahlen. Wir versuchen deshalb, die Leute nach kurzer Erprobung möglichst schnell in den offenen Vollzug zu verlegen, um diese Gefahr einzudämmen. Eine weitere Bezugsquelle sind Besucherinnen, die die Drogen in ihren Körperöffnungen transportieren. Kürzlich haben wir Hinweise geben können, die zur Festnahme von zwei Besucherinnen geführt haben, die jeweils 10 Gramm Heroin einbringen wollten. Sie werden deshalb noch einmal nachkontrolliert, wenn sie während der Sprechzeit die Toilette aufgesucht haben. Man kann auch nicht ausschließen, daß das Gift durch Versorgungstransporte eingebracht wird.

Und was ist mit den Beamten?

In den vergangenen 20 Jahren haben vielleicht zwei, drei Beamte versucht, so etwas einzubringen. Das waren aber absolute Ausnahmen. Eines ist aber ganz klar: Wir tolerieren ein solches Verhalten nicht und setzen alles daran, einem etwaigen Verdacht konsequent nachzugehen.

Wie finanzieren die Insassen ihre Sucht?

Zum Beispiel indem sie ihre Angehörigen draußen unter Druck setzen. Der inhaftierte Sohn schreibt den Eltern, daß er hier drinnen furchtbar erpreßt wird, nicht wegen Rauschgiftgeschichten, sondern weil er Schulden gemacht hat, und die Eltern zahlen.

Was hat es mit der sogenannten Schuldenburg auf sich?

Die Zinsen sind hier drin relativ hoch: In vierzehn Tagen hundert Prozent. Wenn ich heute von einem Mitgefangenen ein Päckchen Tabak bekomme, weiß ich, daß ich ihm in 14 Tagen zwei Päckchen zurückzahlen muß. Die Zinsen sind deshalb so hoch, weil die Bonität der Schuldner nicht übermäßig groß ist. Gefangene, die sich hoch verschuldet haben, versuchen sich deshalb in andere Bereiche verlegen zu lassen, um für die Gläubiger nicht mehr erreichbar zu sein. Ein relativ abgeschlossener Bereich einer Teilanstalt wird „Schuldenburg“ genannt, wobei niemals Klarheit besteht, worauf die behauptete Gefährdung beruht.

Stimmt es, daß Gefangene aus Angst vor ihren Gläubigern mit Tesafilm umwickelte Rasierklingen schlucken, um ins Haftkrankenhaus zu kommen?

Daß sich Leute aus Angst oder behaupteter Angst vor Mitgefangenen in Einzelfall schon einmal verlegen lassen, ist mir bekannt.

Was für Auswirkungen haben Drogenhandel und Konsum auf das Anstaltsklima?

Wir müssen vieles unter dem Aspekt Sicherheit vor der Einbringung vor Drogen regeln. Das ist sowohl für die Gefangenen als auch für die Beamten sehr unangenehm. Bei 1.600 Gefangenen aus 50 Nationen mit einem Anteil von 30 Prozent Ausländern an der Gesamtpopulation ist es aber erstaunlich, wie wenig Gewalt hier vorkommt.

Es wird behauptet, Gefangene aus Osteuropa würden zunehmend den Drogenhandel beherrschen.

Ich fürchte, daß es so kommen könnte, aber jetzt ist es wohl noch nicht so. Selbst wenn es so wäre, könnten wir daraus auch keine anderen Konsequenzen ziehen.

Stimmt es, daß Heroin leichter zu haben ist, als Haschisch?

Das kann ich weder bestätigen noch dementieren. Aber jeder Gefangene weiß, daß Haschisch im Urin länger nachweisbar ist als Heroin. Wir müssen jedenfalls gegen Betäubungsmittel jeglicher Art vorgehen.

Haben andere Haftanstalten in Deutschland und Europa mit ähnlichen Drogenproblemen zu kämpfen wie die JVA Tegel?

Mit Sicherheit ja! Es ist für uns sicher ein gravierendes Problem. Lösen können wir es nicht, nur alles dran setzen, möglichst viele Drogen fernzuhalten.

Um Tegel steht es schlimm, wenn zutrifft, daß manche Männer erst drinnen abhängig wurden.

Ich kenne einen Fall, bei dem ich auch davon ausgehe, daß sich der Mann hier drinnen abhängig gemacht hat. Er ist nach seiner Entlassung an Aids gestorben.

Das ist doch der Beweis für eine völlig verfehlte Drogenpolitik.

Nein. Das ist der Beweis für eine schreckliche gesellschaftliche Situation, die weder die Politik noch der Vollzug verursacht haben und die mit den Mitteln des Vollzuges nun schon gar nicht zu lösen ist. Ich halte die auf Drogenabstinenz abzielende Politik für einzig richtig, und ich finde es schlimm, wenn hier in der Anstalt jemand erst abhängig wird.

Deshalb muß man alles dran setzen, den Inhaftierten die Chance zu geben, von Betäubungsmitteln wegzukommen. Wir versuchen das mit unseren differenzierten, wenn auch bescheidenen Mitteln, aber wir haben im Augenblick nicht einmal Platz, eine weitere Station für entzugwillige Gefangene zu eröffnen. Ich weiß von Insidern allerdings, daß es von Geschäftemachern akzeptiert wird, wenn sich die nichtabhängigen Insassen gegen die Drogen abgrenzen. Deshalb müssen wir deren Abwehrwillen stärken. Interview: Plutonia Plarre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen