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Finanzsenatorin näht sich die Taschen zu

■ Finanzverwaltung verhängt unbefristete Haushaltssperre mit sofortiger Wirkung wegen Steuermindereinnahmen in Höhe von 538 Millionen Mark. Nachtragshaushalt bleibt ausgeschlossen

„Ich habe eine Haushaltssperre verhängt.“ Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) griff gestern zum drastischen Mittel, um die Finanzen der Stadt vor dem Fall ins Bodenlose zu retten. Die neueste Steuerschätzung für 1997 und die Folgejahre ergibt gravierende Mindereinnahmen für diesen Zeitraum. In nächster Zukunft darf deshalb nur noch ausgegeben werden, was zum Aufrechterhalten bestehender Landeseinrichtungen und gesetzlicher Aufgaben unabdingbar ist. Ausnahmen davon gibt es nur mit Genehmigung der Finanzsenatorin.

538 Millionen Mark weniger als im Haushalt veranschlagt werden nach der Schätzung im laufenden Jahr in die Kasse fließen. Darin sind erhöhte Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich schon enthalten. In den kommenden Jahren sieht es noch verheerender aus: Für 1998 werden 798 Millionen Mark Mindereinnahmen erwartet, für das Jahr darauf 1,158 Milliarden und für 2000 werden 1,471 Milliarden Mark weniger als bisher zur Verfügung stehen. Diese Mindereinnahmen müssen zu den schon jetzt angenommenen Deckungslücken von jährlich ca. 4 Milliarden Mark hinzugerechnet werden. Außerdem muß die Finanzsenatorin in diesem Jahr nach dem Bewag- Handel noch etwa 2 Milliarden durch andere Verkäufe erlösen.

Deshalb gilt als erste Notmaßnahme die Haushaltssperre. Sie ist mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen abgesprochen und bleibt so lange in Kraft, bis der Haushalt um die 538 Millionen Mark ausgeglichen wird. Genehmigungsfähige Ausnahmen gibt es nur für folgende Bereiche: Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz, Ausbauprojekte der Hauptstadt im zentralen Bereich, Maßnahmen, die zu 50 Prozent von Bund oder EU getragen werden, Informationstechnik, Verwaltungsreform und Stadterneuerung. Beim Personal soll es keine zusätzlichen Beschränkungen geben, neue Baumaßnahmen dürften nicht begonnen werden. Die Ausnahmen müsse es geben, „damit die Haushaltssperre keine Auswirkung für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt hat“, sagte Fugmann-Heesing. Die sofortige Verhängung der Sperre erklärte die Finanzsenatorin damit, daß der Senat erst in zehn Tagen wieder zusammenkomme. Dann werde sie konkrete Maßnahmen zum Ausgleich des Haushaltes vorschlagen, einen Nachtragshaushalt schloß sie aber aus. Auch mit Blick auf einen möglichen Ausgabewettlauf der Einzelressorts sei die sofortige Sperre angeordnet worden, hieß es. Gerüchten zufolge hatte der Wettlauf am Vormittag bereits eingesetzt. Barbara Junge

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