„Wo soll denn das Geld herkommen?“

■ Bonner Parlamentsrituale: Regierung bejubelt sich selbst, Opposition übt Generalkritik

Bonn (taz) – Demonstrativ bemühte sich die Koalition um Präsenz und Geschlossenheit. Bundeskanzler Helmut Kohl saß schon minutenlang auf seinem Platz, als gestern im Bundestag die Debatte über die Folgen der Steuerschätzung begann. Auch das Kabinett war fast vollzählig vertreten, und die Rede von Finanzminister Theo Waigel (CSU) wurde immer wieder von donnerndem Applaus aus den dicht besetzten Reihen der Koalition unterbrochen.

Dabei hatte der Minister inhaltlich nichts Neues beizutragen. Im Gegenteil: Zur Bewältigung der Schwierigkeiten setzt er auch weiter auf den bisherigen Kurs. „Die Probleme bringen uns nicht aus dem Konzept dessen, was wir für richtig halten und durchsetzen müssen“, erklärte Theo Waigel. Die konjunkturelle Lage sei positiv, meinte der Minister und führte die Wirtschaftsprobleme auf die Opposition zurück. Die SPD blockiere im Bundesrat die wichtigen Reformvorhaben: „Sie lassen den Karren an die Wand fahren.“

Die Sachverständigen haben für dieses Jahr Mindereinnahmen an Steuern in Höhe von rund 18 Milliarden und für 1998 in Höhe von 31,6 Milliarden Mark vorhergesagt. Unbeirrt versprach Theo Waigel gestern dennoch den planmäßigen deutschen Beitritt zum Euro: „Auch die Zahlen der Steuerschätzung bringen die Einhaltung der Kriterien des Maastricht- Vertrages nicht in Gefahr.“

Worüber der Finanzminister nicht gesprochen hatte, faßte Ingrid Matthäus-Maier (SPD) zusammen: Kein Wort habe Waigel über einen Nachtragshaushalt verloren, kein Wort über konkrete Zahlen und kein Wort über konkrete Maßnahmen, die die Regierung angesichts des Haushaltslochs zu treffen beabsichtige: „Dies ist eine Verhohnepipelung des Parlaments.“

„Sie sind der Finanzminister der Steuerlügen!“ rief die sozialdemokratische Finanzexpertin. In diesen Tagen ziehe Waigel erneut durchs Land und verspreche Steuerentlastungen, die weitere Haushaltslöcher bedeuteten: „Wo soll denn das Geld herkommen?“

Ingrid Matthäus-Maier wandte sich direkt an Bundeskanzler Kohl. Er müsse sich Waigels „Minusrekorde“ persönlich anrechnen lassen. Kohl entlasse seinen Finanzminister nur deshalb nicht, weil er den CSU-Vorsitzenden aus parteitaktischen Gründen brauche. Diese Koalition sei am Ende.

Auch die SPD-Politikerin erntete langanhaltenden Beifall – die meisten Oppositionsabgeordneten hatten ebenso wie die Parlamentarier der Koalition die Abreise ins Pfingstwochenende verschoben. Für den Rücktritt Finanzminister Waigels traten in der Debatte auch Oswald Metzger von den Grünen und Gregor Gysi von der PDS ein.

„Wir sind auf dem richtigen Weg“, meinte dagegen Wolfgang Schäuble, Fraktionschef der Union. Auch der Fraktionschef der Union mußte allerdings einräumen, daß er keine Möglichkeiten für weitere Einsparungen im laufenden Haushalt sieht. Wie die Lücke geschlossen werden soll, bleibt also auch nach der Debatte offen. Bettina Gaus