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Aufregung in der Colonia Dignidad

■ Der wegen Kindesmißbrauchs gesuchte Sektenchef Paul Schäfer stellt sich nicht. ARD-Team zusammengeschlagen

Buenos Aires (taz) – Die Luft um die berüchtigte Colonia Dignidad in Südchile wird immer dünner. Seit bekannt wurde, daß in der deutschen Sektensiedlung seit Jahren chilenische Kinder von alten Männern sexuell mißbraucht wurden, will auch das chilenische Establishment die Gruppe um den 76jährigen deutschen Anführer Paul Schäfer nicht mehr decken. „Schäfer soll sich besser heute als morgen den Behörden stellen“, sagt der Senator Hernán Larrain von der Pinochet-Partei UDI, die in den vergangenen Jahren stets schützend ihre Hand über die Colonia Dignidad gehalten hatte. Es mehren sich die Anzeichen, daß es den Behörden ernst ist, einen acht Monate alten Haftbefehl gegen Schäfer wegen Vergewaltigung eines zwölfjährigen Jungen nun zu vollstrecken. Schäfer ist auf der Flucht, heißt es – doch es gilt als gesichert, daß er sich auf dem 1.300 Quadratkilometer großen Gelände der Sekte befindet.

In der Siedlung liegen derweil die Nerven blank. Gäste waren dort noch nie gerne gesehen, gerade wenn es sich dabei um Journalisten handelt. Am Sonntag schlugen Wachmänner der Siedlung ein ARD-Fernsehteam bei Außenaufnahmen vor dem Gelände zusammen. Zwei ihm namentlich bekannte Männer seien während der Dreharbeiten plötzlich auf Motorrädern aufgetaucht und haben mit großen Steinen „sofort auf den Kopf unseres Kameramanns eingeschlagen“, sagte der TV-Journalist Gero Gemballa, der für das ARD-Fernsehmagazin „Report“ unterwegs ist. Der deutsch-chilenische Kameramann German Malig trug dabei Verletzungen am Hinterkopf, der Hand und eine Fußverstauchung davon. Bei der Prügelei ist eine Kameraausrüstung im Wert von 100.000 Mark in die Brüche gegangen und die eingelegte Kassette geraubt worden. Auf dem Band war auch ein Interview mit dem Anwalt von Familien, deren Kinder in der Colonia Dignidad mißbraucht wurden. Gemballa hat Anzeige gegen die Schläger erstattet.

Während des Militärregimes (1973–1989) von Diktator Augusto Pinochet folterte der inzwischen aufgelöste Geheimdienst Dina Oppositionelle auf dem Gelände Sekte. Nach der Rückkehr Chiles zur parlamentarischen Demokratie deckten die rechten Kreise des Landes das Treiben der Colonia Dignidad. Dies scheint sich zu ändern, seit bekannt wurde, daß auch chilenische Kinder unter den Opfern der Sekte sind.

Sektenchef Schäfer streitet alle Vorwürfe vehement ab. Per Brief weigerte er sich vergangene Woche, sich der Polizei zu stellen. Seine Rechtsanwälte haben mittlerweile ihr Mandat niedergelegt, weil sie ihrem Klienten empfohlen haben, sich zu stellen. Die Polizei vermutet Schäfer auf dem Gelände der Colonia Dignidad etwa 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago, nahe der Kleinstadt Parral. In den vergangenen Monaten hat die Polizei mehrfach vergeblich versucht, Schäfer zu verhaften. Zeitungsberichten zufolge ist es durchaus möglich, daß die chilenische Polizei in die Colonia Dignidad eindringt, um Schäfer zu holen. Ingo Malcher

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