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Standort Sofa Von Carola Rönneburg

Im Raum Stuttgart, schwört eine Kollegin, muß man jeden Sonnabend vor den Augen der Nachbarn seine Mülltonne auswaschen und blank wienern. Wer dieses Gesetz nicht befolgt, wird aus dem Dorf gejagt. Viele Schwaben fliehen dieses Schicksal. Sobald sie strafmündig geworden sind, siedeln sie sich in einer Großstadt wie Berlin an, um in Freiheit zu leben: Diesen Unsinn glaubte ich bis zum vergangenen Wochenende.

Gemeinsam mit einer Gruppe tropentauglicher Freunde hatte ich mich in der Nacht zum Pfingstsonntag im wie immer gut geheizten „Roten Salon“ der Berliner Volksbühne niedergelassen. Wir lümmelten in bequemen Sesseln bzw. auf einem der meterlangen Sofas und plauderten; kurz vor Mitternacht hatten wir uns akklimatisiert und beschlossen, auch den Rest des Abends in unserer Nische zu verweilen. Träge beobachteten wir, wie ein paar junge Menschen Kisten mit Schallplatten in den hinteren Teil des Raumes schleppten: Ein Soul-Allnighter stand bevor, klärte uns das Barpersonal auf. Während nun auf der Bühne allerlei Kabel verlegt wurden, untersuchte einer der Motown-Jünger den Salon. Gemessenen Schrittes wanderte der blondgelockte Knabe auf und ab, schob hier einen Tisch ein wenig nach links, rückte dort einen Aschenbecher zurecht. „Ah, der Chef“, nickte mein Gegenüber. Herr Kochannek hatte nicht aufgepaßt, als das Programm bekanntgegeben worden war und glaubte, ein nächtlicher Tanztee stünde bevor. „Keine Förmlichkeiten“, klärte ich ihn auf, „Soul!“ Inzwischen hatte der Inspizient seine Runde beendet. Wohlwollend ruhte sein Blick auf den akkurat ausgerichteten Sessellehnen, als er plötzlich erstarrte. Er sah zu uns hinüber, dann hastete er in unsere Ecke. „Entschuldigung!“ sagte er, „hier läuft gleich eine andere Veranstaltung.“ Ja, das wußten wir. „Das Sofa“, fuhr er schwäbelnd fort und deutete auf Herrn Kochannek. „Das Sofa muß umgeräumt werden.“

Wozu, wollten wir nun wissen. Konnte er nicht ein unbesetztes Sofa umräumen? „Ich sagte doch schon. Hier läuft gleich eine andere Veranstaltung.“ Wir sahen uns ratlos an. Da aber keinem von uns ein vernünftiger Grund einfallen wollte, warum wir unser Sofa hergeben sollten, ignorierten wir den Räumungsversuch. Der Möbelpacker verschwand, kehrte aber schon nach einer Minute zurück. „Ich muß euch jetzt wirklich bitten, kurz aufzustehen.“ Es täte ihm leid, aber er sei „auch nicht der Geschäftsführer“, drohte er, konnte sich aber erneut nicht durchsetzen.

Die nächste Runde im Kampf um den Standort Sofa folgte bald. Diesmal hatte der selbsternannte Befehlsempfänger einen Kollegen mitgebracht. Der besah die Lage und befand: „Lassen wir doch alles so, wie es ist!“ Genau, stimmten wir zu, hatten uns aber zu früh gefreut – im letzten Anlauf hatte der Sofa-Allnighter doch noch zwei Mitstreiter gefunden. Unser Widerstand brach zusammen. Tische und Stühle wurden zur Seite geschoben, das Sofa um ganze drei Meter in den Raum verrückt. Während die ersten Takte von „It's a shame“ erklangen, traten wir den Rückzug an. Am Ausgang begegneten wir noch einmal unserer Heimsuchung. Er hatte jetzt die Türkontrolle übernommen, soeben zwei potentielle Gäste abgewiesen und säuberte gedankenverloren einen Papierkorb.

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