piwik no script img

Käsekrainer und andere fette Schrecken

Gleich zwei Theaterarbeiten bei den Wiener Festwochen widmen sich den Restbeständen des Menschlichen. Doch während Stefan Bachmann verschämt darüber lacht, zeigt Romeo Castellucci das Drama des verletzlichen Leibes  ■ Von Uwe Mattheiß

Sündenpfuhl, dein Name ist Bühne. Eine schwarze Hängebrücke überspannt diesen Ort der Verdammnis. Droben aufgereiht in einem schwarzweißen Bilderbogen sitzt ein Clan schrecklicher Renaissancefürsten. So mordgierig, so lüstern, so inzestuös, so gewalttätig, wie sie sich nur die Leserin eines Bistumsblattes auszumalen vermag. Und sie schauen alle blöd aus der Wäsche. Ihre Taten sind grausam, ihre Pläne kurzsichtig und ihre Motive trivial. Doch bis die letzte Jungfrau geschändet, das letzte hurenhafte Fleisch zerstückelt und der letzte Übeltäter von der blutigen Hand des Rächers gefällt ist, vergehen zwei Stunden, und die werden bisweilen verdammt lang.

In der Inszenierung von Stefan Bachmann erscheint die „Tragödie der Rächer“ des Cyril Tourneur als eine Art elisabethanisches Splatter-Movie. Eine absurde Häufung von Gewalt und sexueller Grenzverletzung paart sich mit einer vollmundigen, moralischen Aufgeregtheit. Es sind die letzten gurgelnden Laute, die exaltierte Predigt eines Apokalyptikers: Wenn die Welt schon so schlecht ist, wie sie ist, dann laßt uns noch eine Schaufel nachlegen, auf daß sie endlich an sich selbst zugrunde geht. Cyril Tourneur, Libertin und Gottesleugner in Zeiten der Pest, erscheint mit seinen Gruselgeschichten als früher Bereiter der Trashkultur. In der Häufung schlägt die Grausamkeit ins Lächerliche, in der Fülle des Mordens verlieren sich die Motive, in der Abstraktion werden Tod und Gewalt zu einer Anordnung, die wie ein Netz den ohnehin zu vernachlässigenden Handlungsablauf zusammenschnürt.

Der Dichter H.C. Artmann hat diesen phantastisch-lächerlichen Blutrausch in kraftstrotzend barocke Sprachgebirge übersetzt. Die Brandreden dieser „Schurkenmäuler“ und „Hurenzungen“ in der Deklamation ältlicher Burgmimen, man würde sich über Pathos und rollendes „R“ vor Lachen zerkugeln. Stefan Bachmann geht einen anderen Weg. Er schließt Tourneurs apokalyptische Geilheit mit ihren Entsprechungen in der Gegenwart kurz, mit Motiven des Horrorfilms und der Blut-, Schleim- und Spermasoße der täglichen Boulevardschlagzeilen. Bei Tourneur „geht es nicht um Kunst, sondern zur Sache“, meint Stefan Bachmann und setzt sich damit in den Gegensatz zu seinem Textproduzenten H.C. Artmann. Daran hätte die Aufführung wachsen können, sie wird aber gerade daran scheitern.

Bei Bachmann ist die Welt zweigeteilt. Oben debattieren die Royals in Smoking und Collegeuniformen über das Vatermorden und Mutterschänden. Unten sitzen die Kleinbürger im Sessel, lesen Kronenzeitung und mokieren sich über die Unzucht von „denen da oben“. Eine Hausfrau (Sylvia Fenz) steht am Wurstgriller und brät fleißig Käsekrainer, den fetten Schrecken jedes Wientouristen. Währenddessen verhandelt sie darüber, wie ihre keusche Tochter auf das Lager des jungen Herzogs zu bugsieren sei, ohne den Segen der Kirche, versteht sich.

Bachmann demontiert den klassischen fünfaktigen Aufbau seines Textes, auf daß die Konventionen des Theaters dem hanebüchenen Geschehen keine Plausibilität verliehen. Einzelne Figuren stehen als Karikaturen wie in kurzen Filmsequenzen. Er versucht die Trivialität des Stoffes zu brechen, indem er das Ausagieren im theatralischen Moment konsequent unterbindet. Dieser Ansatz verliert sich allerdings im letzten Drittel der Aufführung vollständig. Auch Bachmann kommt nicht umhin, dem Affen Zucker zu geben. In einem wüsten Spektakel mordet der Rächer (Christian Wittmann) hin, was von der unwürdigen Bagage übriggeblieben ist. Damit es überhaupt zum Ende kommt, schrumpfen fast zwei Akte Tourneurs zur chorischen Selbstmordszene. Die ganze Welt ist Waco.

Die Ironie und Leichtigkeit, mit der Bachmann zuletzt die Überspanntheiten der „Goethezeit“ in Szene gesetzt hat, haben sich in der „Tragödie der Rächer“ verloren. Er macht sich über den Text von H.C. Artmann lustig, der sich zuvor schon, wenn auch sehr subtil, über Tourneur lustig gemacht hat. Die Sekundärkomik kommt über den Studentenulk nicht hinaus.

Nun, Freunde, heißt es: Helm ab zum Gebet! Es geht um Leiden, Angst und Schmerz. Die unhintergehbaren Restbestände des Menschlichen, über die sich die Splatter- und B-Picture-Ästhetik der „Rächertragödie“ verschämt hinweglacht, werden im Theater des Romeo Castellucci zur Hauptsache: Es zeigt das Drama des verletzlichen Leibes. „Societàs Raffaello Sanzio“, ein Name wie Stein steht für ein Theater, das die Steine zum Schreien bringen will. Romeo Castellucci begegnet bei Shakespeare Julius Cäsar und erforscht an ihm die Verbindung von Macht und Sprache, zurückreichend bis auf den Marktplatz des antiken Stadtstaates. Rhetorik, so lehrt Castellucci, ist die Konstante der europäischen Kultur. Sie ist das Feld, in dem die ästhetischen und die sozialen Funktionen des Sprechens aufeinandertreffen. In der rhetorischen Tradition ist Sprache Macht und ebenso Schönheit, vor allem aber beides zugleich in wechselseitiger Bedingung. Castellucci forscht historisch wie physiologisch nach den Voraussetzungen der Rede. Zu einem Shakespearschen Textfragment führt ein Darsteller ein Endoskop durch die Nase, das Bild seiner kontrahierenden Stimmbänder wird auf den Bühnenhintergrund projiziert. Dann wieder verändert Helium den Frequenzgang des Sprechers oder ein Vibrationsgerät, das von außen am Kehlkopf anliegt. Zuletzt trägt ein kehlkopfamputierter Darsteller mit der Vibration der Speiseröhre die zentrale Rede aus Shakespeares „Julius Caesar“ vor.

Castelluccis Theater leugnet jede Form von Spiel und behauptet durch seine drastischen Mittel den permanenten Einbruch der Realität auf die Bühne. Selbst der gewöhnliche Theatertod wird als eindringlicher Verweis auf die Sterblichkeit gedacht. „Ceci n'est pas un acteur“, so senkt sich die Gedenktafel auf die Darstellerin eines Toten herab. Doch auch die Wirklichkeit ist hier poetisches Konstrukt und dient als Mittel zur Resakralisierung des Bühnengeschehens.

Cäsars Tod ist eine lange Qual – für seine Mörder, die ein zerbrechlicher Greis stoisch über sich ergehen läßt. Seine Häscher sind nicht die tragischen Helden der Republik. Es sind skrupulöse Söhne, die die Notwendigkeiten der Geschichte in den Vater- und Tyrannenmord hineintreibt, greinende Zauderer, die ahnen, daß sie Unheil in die Welt bringen. Castelluccis rätselhafte Metaphysik des Leidens bringt hier das Sterben des Alten mit der Passion Christi in eine Parallele. Die Hybris des Menschen, in den Lauf der Welt einzugreifen, endet hier in der absoluten Zerstörung. Nach der Pause erheben sich zwei magersüchtige Gestalten aus dem Brandgeruch der verkohlten Szene, um in den Dialogen von Brutus und Cassius eine Art von „Wehe dir, Mensch“ zu verkünden. Was bleibt, ist Versenkung in die Erinnerung an das Leid. Doch wo die Passion des Menschen so schön sein kann wie bei Castellucci, wächst das Unbehagen.

Wiener Festwochen: „Tragödie der Rächer“. Von Cyril Tourneur. Regie: Stefan Bachmann. Bühne: Ricarda Beilharz

„Giulio Cesare“. Nach Shakespeare. Regie und Bühne: Romeo Castellucci

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen