■ Schlagloch: Langweilige Mütter, egomane Karrieristinnen Von Christiane Grefe
„Wir brauchen ein Bündnis für Familien“ Claudia Nolte, Mai 1997
Die Freundin hatte ich lange nicht gesehen. Am Telefon erfuhr ich den Grund: eine hartnäckige Grippe, die hatte zudem das minutengenau ausbalancierte Gleichgewicht ihrer familiären Aufgabenverteilung zum Einsturz gebracht. Und sie an den Rand der Verzweiflung: Ich kann nicht mehr, mir ist alles zuviel, Kinder, Arbeit, Ehrgeiz, Mann, jetzt macht Ellen auch noch Riesenschwierigkeiten in der Schule, nichts darf dazwischenkommen, wie kriege ich das bloß unter einen Hut. Dabei hat sie sogar einen Mitmachermann – im Zweifelsfall aber ist es dann doch sie, die ihre Aufträge wegen der Kinder aufgibt oder -schiebt. „Schmeiß den Job doch einfach mal hin, nur eine Zeit lang“, schlug ich, bloß an ihre Entlastung denkend, vor; „vielleicht könnt ihr euch damit ja auch abwechseln?“ Wir rechneten die Sache durch. Dann hörte ich wieder nichts. Diesmal jedoch, weil sie stinksauer auf mich war. Denn mein argloser Rat hatte in ihrem Kopf folgende Mutation durchlaufen: „Du hast mir ja dann auch noch vorgeworfen, es sei unverantwortlich, wenn man mit Kindern arbeitet!“
Zur Psychodynamik dieser typisch von chronisch schlechtem Müttergewissen gesteuerten selektiven Wahrnehmung muß man vielleicht wissen, daß ich keine Kinder habe. Das aus gegenseitigen Projektionen entzündete Mißverständnis ist jedenfalls weder ein Einzelfall noch rein persönlich. Es steht vielmehr für die tief sitzenden Folgen einer Familienpolitik, die alle Anstrengungen der Kinderaufzucht privatisiert, Lichtjahre hinter der gesellschaftlichen Entwicklung her:
Frauen wollen und/oder müssen arbeiten und beruflich erfolgreich sein. Gleichzeitig aber sollen sie mutterseelenallein eine Erziehungsaufgabe lösen, der sich früher ein ganzes soziales Verwandtschafts-, Geschwister- und Nachbarschaftsnetz gewidmet hat. Dies ist eine Herausforderung, die zudem als Abwehr-, Immunisierungs- und Identitäts-Aufbauleistung mitten im sich beschleunigenden gesellschaftlichen Wandel immer schwerer geworden ist. Den konkurrenzorientierten Ehrgeiz und die Effizienz der Berufswelt mit aufopfernder zeitlicher und emotionaler Verfügbarkeit für die Kinder gleichzeitig zu leben – diesen Spagat zwischen völlig unvereinbaren Verhaltenslogiken kriegt man aber kaum hin. So können es Frauen also nur falsch machen. Entweder sie sind nach den ihnen aufgebrummten Ansprüchen unzulängliche Mütter und auch im Job nur ein bißchen gut. Oder langweilige Hausfrauenmütter. Oder sie geben die Sache mit den Kindern auf und werden wahlweise eiskalte oder schrullig verklemmte, kinderlose Karriereziegen.
Die dieser Karikatur zugrunde liegende Ideologie der perfekten Frau haben die meisten – entgegen allen Medienmythen auch die jungen! – Mütter offenbar so verinnerlicht, daß sie mit ihrer Überforderung nicht etwa zornig politisch nach außen gehen, sondern lieber – siehe oben – im Kinderkriegen aufeinander los. Da suchen die Nur- Mütter bei den Sprößlingen der berufstätigen akribisch nach psychischen Auffälligkeiten. Die Doppelbelasteten schießen triumphierend mit Studien zurück, denen zufolge ihre Kinder seltener fernsehen, weil sie mehr Abwechslung bei den Bezugspersonen und damit auch mehr Vielfalt ihrer Beschäftigungen hätten. Und beide Mütter-Arten gemeinsam gehen auf uns egoistische Kinderlose los, weil sie uns, die wir die Entscheidung aus lauter Angst vor der Zerreißprobe ständig aufgeschoben haben, um unsere Freiheit beneiden.
Das Frauen-Dilemma hat Folgen für die Kinder. Auf der einen Seite eine Mischung aus Vernachlässigung und Verwöhnung, wenn Frauen den ganzen Tag unterwegs sind und ihre (oft Einzel-)Kinder nach der Schule sich selbst überlassen müssen; es sei denn, sie wären reich genug, eine private Aufsicht zu bezahlen. Und auf der anderen werden die Jungen und Mädchen – „mein Kind ist jetzt mein Beruf“ – von Mittelschichts-Ganztagsmüttern zu professionell betriebenen Projekten gemacht und dabei kurz und klein geliebt. Diese Frauen würden, so klagt eine Lehrerin, „am liebsten noch den ganzen Unterricht mitprotokollieren“; eine kenne ich, die hat sogar einen Volkshochschulkurs in Latein belegt, nur um ihrem Sohn bei den Hausaufgaben helfen zu können. Das arme Kind: Es hat nichts Eigenes. Die arme Mutter: Sie wird sich noch wundern, wenn sie, out-dated, wie sie ist, „irgendwann“ doch wieder ins Berufsleben hinein will, respektive muß. Unter den Arbeit suchenden Müttern wimmelt es von solchen Mitte Vierzig aus dem Klub der verlassenen Ehefrauen, die sich so sicher wähnten.
Vermutlich sind Sie bis hierher schon eingenickt, denn nichts von alldem ist ja neu; weder daß nach wie vor nur ein Drittel der Mütter arbeiten noch daß gerade mal 4.000 Väter, aber 400.000 Mütter Erziehungsurlaub nehmen. In der Gesellschaft verwandelt hat sich höchstens der „Sonntagsvater“ in einen etwas häufiger anwesenden, auch liebevoll engagierten „Feierabendvater“. Jede politische Reform aber ist – bis auf die Kindergartenplatzgarantie, auch nur halbtags – ausgeblieben. Nicht zuletzt dank Familienministerin Claudia Nolte, die sich demütig schweigend mit überdurchschnittlichen Etatkürzungen bescheidet und, wenn sie etwas fordert – „wir brauchen ein Bündnis für Familien“ –, schon vorausblickend (siehe „Bündnis für Arbeit“) die Terminologie des Scheiterns wählte. Bei so viel zelebrierter Folgenlosigkeit können leider auch die Forderungen nicht sehr originell sein. Hier kommt also eine, uralt, aber brisanter denn je: Höchste Zeit für die Ganztagsschule!
Denn Unterricht bis 16 Uhr würde auch meiner Freundin das zermürbende Jonglieren zwischen unvereinbaren Schul- und Arbeitszeiten ersparen, ja vielen Frauen die Arbeit erst ermöglichen. Die vielen Einzelkinder hätten einen Raum sozialer Erfahrungen mit Kindern auch anderer Altersgruppen; Kinder überhaupt intensivere Beziehungen zu anderen Erwachsenen als immer nur den Eltern. Und Lehrer wie Schüler könnten dem sturen Leistungsdruck, den jetzt Mütter abfangen, mit flexiblen, großzügigeren Lern- und Spielrhythmen und einem vielfältigeren Stoffangebot begegnen. 40 Prozent der Eltern wollen das für ihr Kind – bei vitalen, neuen Ganztagsschulkonzepten, die über Verwahranstalten hinausgehen, wären es gewiß noch mehr. Doch gerademal fünf Prozent haben das – häufig privat finanzierte – Privileg. 100 Prozent der Familien profitieren in anderen Ländern davon, und zwar ohne zu verlottern. Der Pädagoge Klaus Hurrelmann schreibt: „Nirgendwo sonst werden die Veränderungen des Familien- und Berufslebens von der Politik so eklatant ignoriert.“ Die Gründe sind peinlich: Geld – also Phantasielosigkeit; vor allem realitätsfremde, schiere Ideologie. Zudem daß Familieninteressen, obwohl sie für Zukunft stehen, in diesem Land Minderheiteninteressen sind. So bin ich denn gespannt, wie engagiert der selbsternannte Zukunftsguru der Opposition, Gerhard Schröder, beim sozialdemokratischen „Innovationskongreß“ diesen „Umsetzungsstau“ bekämpft.
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