: Der Schatten von Chinas „nationaler Sicherheit“
■ Die Einschränkung von Bürgerrechten verunsichert kritische Organisationen in Hongkong. Strittige Fragen sollen künftig vor Gericht geklärt werden
Hongkong (taz) – Die am Wochenende in Hongkong eingeleiteten Einschränkungen von Bürgerrechten haben bei lokalen Menschenrechtsgruppen und regierungsunabhängigen Organisationen Unsicherheit über den Fortbestand politischer Freiheiten nach der Übergabe der britischen Kronkolonie an China ausgelöst. Insbesondere die Einführung der Kategorie der „nationalen Sicherheit“ hat bei vielen Organisationen Besorgnis ausgelöst.
„Ich gehe davon aus, daß hiesige Gruppen sich angesichts des großen Schattens der nationalen Sicherheit zurückhalten werden“, so Ho Hei Wah von der regierungsunabhängigen Menschenrechtskommission. „Gute Vorbereitungen zur juristischen Verteidigung und die Einrichtung entsprechender Verteidigungsfonds sind meine Antwort auf diese Gesetze.“
Am Samstag hatte das von China eingesetzte Schattenparlament, das am 1. Juli den gewählten Legislativrat ablöst, die von der künftigen Regierung vorgeschlagenen Gesetzesänderungen bereits in erster und zweiter Lesung gebilligt. Eine endgültige Zustimmung wird noch vor dem 1. Juli erwartet. An diesem Tag übernimmt China die Hoheit über Hongkong. Die neuen Gesetze machen Demonstrationen vorab genehmigungspflichtig und verbieten ausländische Parteispenden an Hongkonger Organisationen. Dies gilt nicht für Gelder aus der Volksrepublik China. Demonstrationen für die Unabhängigkeit Tibets und Taiwans sind künftig verboten.
Unter den Begriff der „nationalen Sicherheit“ fallen alle Aktivitäten, die die „nationale Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Volksrepublik China“ gefährden. Künftig müssen sich zudem alle Organisationen registrieren lassen. Bürgerrechtler befürchten, die Gefährdung der nationalen Sicherheit könne als Vorwand für ein Verbot regierungskritischer Organisationen dienen.
Michael Suen Ming-yeung, der für die künftige Regierung die Gesetze in ihrer jetzigen Form angekündigt hatte, sagte, die Gerichte sollten entscheiden, ob nach dem 1. Juli auch Parolen wie „Nieder mit Li Peng“ verboten seien. Chinas Ministerpräsident gilt als einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker auf dem Pekinger Platz des Himmlichen Friedens 1989.
„Das Konzept der nationalen Sicherheit zielt auf die Kontrolle oppositioneller Gruppen und nicht auf Bedrohungen von außen“, meint Rechtsdozent Nihal Jayawickrama von der Hongkong-Universität. Die Definition könne in akademischen Kreisen zu Problemen führen. Eine Gruppe müßte künftig mit einem Verbot rechnen, wenn sie etwa einen Bericht veröffentlichen wollte, in dem eine UNO-Mitgliedschaft Taiwans damit befürwort würde, daß die Insel ein unabhängiges Land sei. Darauf angesprochen, verwies Regierungssprecher Suen ebenfalls auf die Gerichte. Er fügte aber hinzu, solche Organisationen gehörten seiner Meinung nach verboten. Die Vorsitzende der Rechtsanwaltsvereinigung, Audrey Eu Yuet-mee, forderte die künftige Regierung auf, die Richtlinien für die Polizeibehörden offenzulegen. Sonst wisse die Bevölkerung nicht, wodurch sie die nationale Sicherheit gefährde.
Die jetzt eingeleiteten Änderungen gehen auf den chinesischen Volkskongreß zurück. Er hatte im Februar beschlossen, die von der Kolonialregierung einseitig in den letzten Jahren gestärkten Bürgerrechte wieder einzuschränken. Im April kündigte darauf Hongkongs künftiger Regierungchef Tung Che-hwa entsprechende Änderungen an. Nachdem dies auf große Kritik stieß, schwächte Tung am vergangenen Donnerstag die Änderungen ab. Im Kern blieben sie jedoch unverändert. Laut Tung handelt es sich bei den neuen Gesetzen um reine Formalitäten. Sie dienten dazu, persönliche Freiheiten und die soziale Ordnung im Gleichgewicht zu halten. Sie unterschieden sich auch nicht wesentlich von entsprechenden Gesetzen in westlichen Ländern. Sven Hansen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen