: Chiles Polizei stürmt die Colonia Dignidad
■ Der wegen Kindesmißbrauch gesuchte deutsche Sektenführer Paul Schäfer hält sich versteckt, die Colonia-BewohnerInnen verhalten sich gegenüber der Polizei friedlich
Berlin (taz) – Die chilenische Polizei hat gestern mit 400 Carabinieri das Gelände der deutschen „Colonia Dignidad“ in Südchile gestürmt – offenbar um den Haftbefehl gegen Paul Schäfer zu vollstrecken, den 76jährigen Gründer und Führer der Sektensiedlung. Schäfer wird sexueller Mißbrauch von Kindern vorgeworfen.
Die BewohnerInnen der „Villa Baviera“, wie sich die Colonia Dignidad (Kolonie der Würde) seit 1991 nennt, waren auf die Polizeiaktion bestens vorbereitet. Sie hatten seit Tagen darauf gewartet. Um zu signalisieren, daß sie sich einer Durchsuchung nicht widersetzen würden, hatten sie das Haupttor weit geöffnet. So kann getrost davon ausgegangen werden, daß auch Schäfer selbst von der bevorstehenden Polizeiaktion bestens informiert war – und Zeit genug hatte, sich auf dem 13.000 Hektar großen Gelände zu verstecken.
Bereits am Montag waren zwei chilenische Mitglieder eines Dignidad-Unterstützungskomitees unter dem Vorwurf verhaftet worden, ein ARD-Team unter Leitung des Journalisten Gero Gemballa angegriffen zu haben, als dieses am Sonntag vor den Toren der Colonia gedreht hatte.
Sollte Schäfer tatsächlich verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt werden, wäre die Zukunft der deutschen Kolonie überaus ungewiß, war doch seit ihrer Gründung 1961 alles auf die Figur des Führers Schäfer ausgerichtet. Was aus den über 200 Sektenmitgliedern werden soll, die zum Teil seit über 30 Jahren wie Sklaven gehalten werden, weiß noch niemand. Der Vorwurf des Kindesmißbrauchs, der Schäfer jetzt zum Verhängnis werden könnte, ist allerdings nicht neu. Schon in Deutschland war Schäfer dementsprechend aufgefallen – zum erstenmal in den vierziger Jahren. Und nicht zuletzt bevorstehende Untersuchungen just zum selben Tatvorwurf hatten bewirkt, daß die Sekte Deutschland 1961 Hals über Kopf verlassen und nach Chile übersiedeln mußte. Die deutsche Justiz, die nach derzeit geltender Rechtslage auch deutsche Staatsangehörige belangen muß, die im Ausland Straftaten begehen, ist bislang gegen Schäfer nicht aktiv geworden. Alle früheren Verfahren sind längst eingestellt. Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
