piwik no script img

Vergnüglicher Todesritt

■ Heiko Michael Hartmann stellt seinen Debütroman „Moi“im Literaturhaus vor

Mal ganz unter uns und eigentlich viel zu pauschal gefragt: Sind Dichterlesungen im Grunde nicht etwas merkwürdige Veranstaltungen? Natürlich, man hat den Autor vor sich und kann so seine Neugierde befriedigen. Aber hat man auch den Text? In den kann man sich doch viel besser allein zu Hause hineinwühlen.

Nun gibt es aber Prosa, die unbedingt laut gelesen gehört. Weil das laute Lesen ihr eine Ebene hinzufügt. Der Debütroman „Moi“des vierzigjährigen Berliner Verwaltungsjuristen Heiko Michael Hartmann ist so ein Fall.

Der Klang der Wörter nimmt dem Roman nämlich das Überkonstruierte, das ihm anhaftet. So trifft es sich gut, daß man sich „Moi“vorlesen lassen kann: Heute abend ist Heiko Michael Hartmann im Literaturhaus zu Gast.

Hartmann reitet in dieser Groteske vergnüglich das altehrwürdige Motiv der Selbstfindung zu Tode. Ein Ich-Erzähler sucht Klarheit über sich und sein Leben zu gewinnen. Und zwar ausgerechnet zu einem Moment, da ihm alle Gliedmaßen Stück für Stück amputiert werden müssen. Er ist von einer geheimnisvollen Virus-Erkrankung befallen, die perfiderweise, wir befinden uns in der nahen Zukunft, von Geldscheinen übertragen wird. Eine klug ausgedachte, streng durchgeführte Konstruktion. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

Laut gelesen aber offenbart der Text große sinnliche Qualitäten. Weil Hartmann eine direkte Sprache gefunden hat, die er geschickt mit Splittern aus der Alltagssprache vermengt. Wie er etwa folgende Passage vorträgt, das möchte man doch einfach hören: „Die sinnschon nebendran! Der Brohphessor mussnoch auf Nkongress heut! erläuterte Schwester Erna die ungewöhnlich frühe Visite. Ochnee! Jetz hamm Sie Schonn extra Nkunstoffthermometa für Nmund, un dess zerbeisn Sie auch noch!“

Wie soll man schon gepeinigt von solchen Krankenschwestern, zu sich selbst finden können?

Dirk Knipphals

Heiko Michael Hartmann: „Moi“, Hanser Verlag, München. 190 Seiten, 34 Mark. Lesung: heute, Donnerstag, 22. Mai, Literaturhaus, Schwanenwik 38, 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen