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„Jeder Stein kann sprechen“

Wo die Idylle einen Namen hat: Kleingartenanlage „Am Uferweg“ im brandenburgischen Gosen. Jetzt bangt Werner Ederer um seine geliebte Datsche  ■ Von Jens Rübsam

Ederers haben mal versucht, zusammenzurechnen. Fünfzigtausend, vielleicht auch sechzigtausend Mark können es gewesen sein, die sie in das 400 Quadratmeter große Grundstück und in ihre Datsche investiert haben. „Genau aber“, meint Werner Ederer, „läßt sich das heute nicht mehr sagen.“ Wie es damals, zu DDR-Zeiten, halt gewesen sei.

Ein Sack Zement war nur „unter der Hand“ zu kriegen und für mehr als den üblichen Preis. Bretter waren Mangelware; wer welche brauchte, wie die Ederers für ihre kleine Datsche im brandenburgischen Gosen, mußte ein üppiges Trinkgeld rüberreichen. Ebenso wie für den Fahrer, der Steine, und den Fuhrmann, der Bretter zur Kleingartenanlage „Am Uferweg“ bringen sollte.

Bis zur Wende haben Ederers aus Prenzlauer Berg 200 Mark jährlich für ihre 400 Quadratmeter gezahlt. Vergangenes Jahr waren es schon 800 Mark. Hinzu kommen Zweitwohnsteuer und die normale Grundstückspacht, die die Kommune erhebt. Und nun steht die nächste Pachterhöhung an.

Werner Ederer steht am Gartenzaun und blickt ins Ungewisse. Ob er die Datsche halten kann? „Ich weiß es nicht.“ 750 Mark Miete für die kleine Zweiraumwohnung in Prenzlauer Berg. Müllgebühren. Telefongebühren. „Ich bin jetzt arbeitslos“, sagt Werner Ederer. Und demnächst gehe er in Rente. „Nein, wir können doch nicht all das, was wir uns hier geschaffen haben, aufgeben.“ Jeder Stein könne sprechen, eine Geschichte erzählen. An jedem Stein hänge ein Tropfen Schweiß. Jede Pflanze sei selbst geplanzt.

Ederers haben sich am Stadtrand von Berlin ihre Idylle geschaffen. Eine massive Datsche gebaut, nicht pompös eingerichtet, eher schlicht. Einen kleinen Schuppen für die Gartengeräte angebaut. Einen kleinen Plastetümpel angelegt, in dem Werner Ederer seltene Schneckenarten züchtet.

Jedes Jahr im Frühling „entwendet er der Natur“ sieben, acht Posthorn- und sieben, acht Spitzstumpfschnecken; im Herbst gibt er sie der Natur zurück, dann sind es von jeder Schneckenart so um die zwanzig. „Wenn man hier draußen ist, lernt man, sich mit solchen Dingen näher zu befassen“, sagt Werner Ederer. Auch die seltensten Vogelarten im angrenzenden Naturschutzgebiet kenne er bestens.

Ende April sind die Datschenbesitzer Sturm gelaufen. Auf einer Veranstaltung in der Kongreßhalle am Alexanderplatz protestierten 2.000 Nutzer gegen bestimmte Paragraphen der Nutzungsentgelt- Verordnung, zum Beispiel den dehnbaren Begriff der Ortsüblichkeit. 1993 hatte die Bundesregierung die Verordnung beschlossen, und der Bundesrat hatte seine Zustimmung gegeben – mit den Einschränkungen: ein Jahr Auszeit, also keine Pachterhöhung 1996, und: die Verordnung solle unter sozialen Aspekten novelliert werden. Ersteres wurde eingehalten; und diese Woche hat hat die Bundesregierung die neue Verordnung beschlossen, „ohne allerdings auf soziale Aspekte Rücksicht zu nehmen“, wie der Verband Deutscher Grundstückseigentümer (VDGN) mitteilt. Das heißt: Ab August dürfen die Grundstückseigentümer die nächste Pachterhöhung vornehmen – 60 Pfennig pro Quadratmeter oder 50 Prozent mehr. Der VDGN gibt zu bedenken, daß wahrscheinlich von den 1,9 Millionen Nutzern in den neuen Bundesländern rund 500.000 aufgeben müssen, weil sie die Pacht zukünftig nicht mehr zahlen können. Seit 1990, so die Verbandsstatistik, hätten sowieso schon 700.000 Nutzer ihr Grundstück abgegeben. Als Gründe werden vom VDGN Arbeitslosigkeit und Sozialhilfestatus aufgeführt. Und auch: viele der Nutzer, die damals ins Grüne gezogen seien, seien heute Rentner.

Die Forderung nach einem Nutzerschutzgesetz, die VDGN-Präsident Eckhard Beleites auf der Protestveranstaltung am Alexanderplatz formulierte, fand den Beifall der Datschenbesitzer. „Der Eckhard Beleites setzt sich wirklich für uns ein“, sagt Werner Ederer. Auf den VDGN-Präsidenten hoffen alle Gosener Datschenbesitzer. Denn keiner will weg aus dem „Uferweg“, will festhalten an dem, was er sich aufgebaut hat.

Werner Ederer blickt in den trüben Mai-Himmel; ein Sportflieger dreht lautstark seine Runden. Lautstark? Werner Ederer muß lächeln. „Sie müssen mal kommen, wenn die Düsenflieger über uns langpreschen. Dann ist es fast nicht mehr auszuhalten.“ An den zukünftigen Berlin-Brandenburger Großflughafen Schönefeld mag der 61jährige gar nicht denken. Noch mehr Flugzeuge. Noch mehr Lärm. Und dann, unter diesen Bedingungen, die nächste Pachterhöhung!

Immer, wenn das Wochenende naht, flüchten Ederers aus ihrer Platte in Prenzlauer Berg hinaus nach Gosen, ins Grüne, in ihre Datsche. „Nein“, und Werner Ederer sagt es mit Bestimmtheit, „das hier können wir nicht aufgeben.“ Das hier sei sein eigentliches Zuhause.

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