: Prägende Kritzeleien
Vom prominenten Umgang mit Schulbüchern: Eine Ausstellung im Bleichenhof ■ Von Sabine Schrader
Franziska Becker hat ihre Schulbücher nicht aufgehoben. Zu textlastig empfand die angehende Cartoonistin das Lehrmaterial, das sie, zum Ärger ihrer Erzieher, mit eigenen Illustrationen auflockerte. Der Beckersche Beitrag zur Ausstellung „Eigenes Schulbuch. Eigener Kopf“ist deshalb ein – unbekritzeltes – „Pippi-Langstrumpf“-Exemplar, das sie als Vierjährige bekam. Die kleine starke Schwedin, sagt die Zeichnerin, habe ihr beigebracht, ungehorsam zu sein und sich zu behaupten.
In den Schaukästen der Bleichenhof-Passage, wo sonst italienische Schuhe und Designermode um Aufmerksamkeit werben, sind noch bis zum 1. Juni Schulbücher von Prominenten ausgestellt, garniert mit passenden Erinnerungen. „Wir wollten zeigen, daß intensive Prägungen von Schulbüchern ausgehen, die zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit in erheblichen Maße beitragen“, meint Wolfgang Dick, Vorsitzender des Verbandes der Schulbuchverlage e.V., der die Ausstellung finanziert. Knapp 70 SchauspielerInnen, PolitikerInnen, KünstlerInnen, TheologInnen, AutorInnen und SportlerInnen haben Relikte aus ihrer Schulzeit beigesteuert.
Darunter Thomas Wesinghage. Der Leichtathlet hatte mehr Respekt vorm Schulbuch als die freche Cartoonistin Becker. Gerade mal eine Notiz zur Aufgabenstellung, mehr hat er sich nicht getraut. Besonders die Schulbibel hatte es ihm angetan und ihm prompt einen Eintrag ins Klassenbuch beschert und einen Brief an den Vater gleich dazu: „Sehr geehrter Herr Wessinghage. Leider sehe ich mich gezwungen, Ihnen mitzuteilen, daß ihr Sohn Thomas den Versuch unternahm, im Kunstuntrricht in der Bibel zu lesen, und dadurch störte.“
Ganz das Gegenteil: Heiner Lauterbach. Der war als Pennäler ein rechter Schmierfink. Statt sich lateinischen Vokabeln zu widmen, bereitete er sich – in weiser Voraussicht auf die spätere Schauspielkarriere? – auf AutogrammjägerInnen vor. Proben seiner Unterschrift zieren sein Lateinbuch, den Umschlag hat der gelangweilte Jüngling mit einem bärtigen Glatzkopf versehen.
Vom kreativen Umgang mit der Altphilologie zeugt, zwischen Büchners Woyzeck und Rabes Tierkunde, auch ein vollbeschriebenes Heft. Eugen Drewermann hat hier die „Schlacht an der Trebia“aus Livius' „Ab urbe condita...“übersetzt. Diverse Streichungen und Ergänzungen, Umstellungen und ein stetes Ringen um den passenderen Ausdruck dokumentieren eindringlich die „intensive Prägung“, die zur „Entwicklung der Persönlichkeit“des Psychotherapeuten und aufmüpfigen Theologen beigetragen hat.
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