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Wer hat Angst vorm Eiermann?

■ Die Spaßguerilla gegen ihre Protagonisten in Schutz nehmen - zwei Kongresse in Berlin zum 2. Juni 1967

Eine gewisse Angriffslust lag in der Luft, als am Freitag nachmittag der Benno-Ohnesorg-Kongreß im Audimax der TU eröffnet wurde. Die Organisatoren – eine kleine Gruppe um die Zeitschrift Kalaschnikow, zu der später Konkret und junge Welt/jungle World getreten waren – hatten schon in der Einladung der Hoffnung Ausdruck gegeben, es möge sich, nachdem alle Versäumnisse der Alten aufgelistet seien, eine „Hate-Army-Fraktion“ gründen, um die Konsumentenkinder der 68er auf der bald wieder anstehenden Dr.-Motte- Love-Parade anzugreifen.

Auf den Kongreß zur Club-Culture, der zeitgleich in der Volksbühne tagte, wurde mehrfach erbittert Bezug genommen. Rainer Langhans, der als Exkommunarde und Apologet der Spaßkultur nur gegen erheblichen Widerstand überhaupt eingeladen worden war, sah sich heftigsten Angriffen ausgesetzt. Klaus Schönberg, Vertreter des autonomen Zentrums Marburg, der sich durch sein gelbes T-Shirt auch als Mitglied der „Wohlfahrtsausschüsse“ kenntlich machte, erklärte, man wolle „die Spaßguerilla gegen ihre Protagonisten in Schutz nehmen“, die sich – vor allem in Form von Uschi Obermeier – der Kulturindustrie in die Arme geworfen hätten. Hier interessierten nicht „die Biographien der KommunardInnen“, sondern die Tatsache, daß es damals eine Zeitlang gelungen sei, die „kulturelle Grammatik der bürgerlichen Gesellschaft zu erschüttern“.

Wirkliche, dauerhafte Erfolge der 68er Bewegung wollte aber eigentlich – außer einigen ehemaligen Aktivisten – niemand konstatieren. Veränderungen im Autoritätsgefüge auf allen Ebenen? Bildungsreform? Aufarbeitung der Nazivergangenheit? Männer und Frauen? Alles Peanuts! Schließlich sei der Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital, den die Studenten damals nicht ausreichend zur Kenntnis hätten nehmen wollen, nach wie vor nicht beseitigt, sondern drohe im Gegenteil als neoliberale Maskerade Besitz von der ganzen Welt zu ergreifen.

Die Stimmung war diffus vorwurfsvoll und enttäuscht. Immer wieder wurde verlangt, endlich über die Gegenwart zu reden, in der sich anderswo schon wieder deutsche Massen im gleichgeschalteten Groove durch die Straßen wälzten. So beschäftigte sich eine AG „Wer hat Angst vorm Eiermann? Zur Provokationsstrategie von Anti-Eliten“ mit der Frage, welche Auswirkungen der Split zwischen SDS und den ausgeschlossenen Kommunarden auf Dauer hatte. „Die Ossis“, so Langhans über Dutschke, Rabehl und den SDS, „haben alles als Staatsangelegenheit aufgefaßt, wir als Kunst.“ Die Love Parade sei insofern ein Sieg der Kommune I.

Mit dieser Teleologie, in der alle heutigen Bewegungen nur noch als Versäumnisse oder Erfolge der Kommune I erschien, konnte sich die Gegenfraktion, wie Christian Semler anmerkte, nicht so recht anfreunden. Bernd Rabehl ergänzte: „Wir Ostler waren Antikommunisten, eher orientiert an den Revolutionären des 19. Jahrhunderts, am Feuerbach-Marx, an Reich und Marcuse.“ So habe man sich in einer Paralysesituation befunden, bis die Bewegung schließlich ins „Fadenkreuz der Geheimdienste“ geraten sei.

Zwar lachten einige der Jüngeren an dieser Stelle verständlicherweise, aber nur, um anschließend ihrerseits mit vergleichbar martialischen Formulierungen aufzuwarten. So stellte Luther Blisset, Herausgeber eines Handbuchs „Kommunikationsguerilla“, in gemessenem Ernst fest, es gebe auf der Welt eine „große, starke Tortenwerferbewegung“, die eben durch Lächerlichmachung demaskiere und praktisch nie polizeilich verfolgt werde.

Auf den Einwand Christian Semlers, eine Provokationsstrategie setze einen hysterisierten Polizeiapparat voraus, der bereit sei, so zu reagieren wie 1967 die Beamten unter dem damaligen Berliner Polizeipräsidenten Duensing, und einen solchen könne er zur Zeit nirgends ausmachen, antwortete niemand. Als legitime Aktionen mit Vorbildcharakter blieben die Chaos-Tage, die NOlympics-Kampagne und die Hausbesetzungen, wenn auch vor den kleinbürgerlichen Privatverhältnissen gewarnt wurde, die sich dort zum Teil etabliert hätten.

Auch das rigide Desinteresse an den Biographien der Aktivisten konnte nicht verhindern, daß allerhand Elend sich Ausdruck verschaffte. Während Eierwerfer Dieter Kunzelmann inzwischen auch in den eigenen Reihen nur mehr als kurioser Kauz betrachtet wird, berichtete die ehemalige Historikerin Iris Lehmann, die seit elf Jahren Taxi fährt, mit schriller Stimme, eine Lebensgefährtin von Langhans habe neulich bei ihr, die krank war und sich mit Selbstmordgedanken trug, angefragt, ob sie ihren Tod filmen dürfe. Während ansonsten niemand ihre länglichen Wortbeiträge ertragen konnte, schlug diese Information doch wieder gegen Langhans aus, den man nun endgültig im Pakt mit der Kulturindustrie sah.

Andächtiger war dagegen die Stimmung beim Konkurrenzunternehmen im Mehringhof, wo sich ein kleinerer Kongreß mit dem 2. Juni beschäftigte, zu dem allerdings keine Promis geladen waren. Geduldig hörte sich hier ein junges Kreuzberger Publikum eine Lektion in „Globalisierung“ und „Kapitalkonzentration“ an, einen berlinisch gehaltenen Erfahrungsbericht („du mußtest ebent uff Arbeit een janz akkuraten Scheitel uffweisen“) und sah Schwarzweißfilme von damals, die interessanterweise mit Lou Reed unterlegt waren.

So richtigen Spaß hatten an diesem Wochenende aber wahrscheinlich weder die einen noch die andern; was man so hört, aber auch diejenigen nicht, die in der Volksbühne versucht hatten, der Club- Culture doch noch irgendwelche subversiven Motive aufzudrängen. Die Clubber wird es nicht gestört haben. Mariam Niroumand

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